In unserer Organisation findet einmal jährlich im Dezember eine sogenannte FuckUp-Night statt. Bei der Vorbereitung dieser FuckUp-Night sprachen wir im Organisationsteam darüber, dass ich die Einführung übernehmen könnte. Ich fragte daraufhin, ob wir diese Einführung Keynote nennen können. Ich wollte schon immer mal eine Keynote halten – ich finde, das klingt einfach cooler. Also durfte ich im Dezember mit meiner kleinen Keynote unsere FuckUp-Night 2021 eröffnen. Den Inhalt derselben möchte ich heute (leicht abgewandelt, damit er als Blogbeitrag funktioniert) mit dir teilen. Bitte hier entlang …. 👇
Meine Keynote zur FuckUp-Night 2021
Ich hatte mir natürlich im Vorfeld der FuckUp-Night schon selbst überlegt, ob ich von einem FuckUp erzählen könnte. Mir fiel aber auch bei längerem Überlegen nichts Brauchbares ein. Ich hatte einfach keine FuckUps erlebt letztes Jahr, es war nichts wirklich schief gegangen, mir waren keine nennenswerten Fehler passiert.
Zum Glück!
Wirklich zum Glück?
Müssen wir Fehler einfach nur akzeptieren?
Bestimmt habt ihr schon mal den Satz gehört, dass Fehler notwendig sind, um innovative Ideen zu entwickeln, dass wir akzeptieren müssen, dass beim Ausprobieren neuer Wege Fehler passieren können. Dass Fehler sein müssen, um daraus zu lernen.
Theoretisch habe ich das ja verstanden. Es klingt auch gut! Und trotzdem fühlt sich Fehler machen in der Praxis überhaupt nicht toll an. Selbstverständlich verwende ich schon ein gewisses Maß an Energie darauf, keine Fehler zu machen. Ich vermeide Situationen, die mir zu unsicher sind und bei denen nach meiner persönlichen „Fehlertoleranz“ die Wahrscheinlichkeit zu groß ist, dass ich scheitere.
Fehler gehören zum Lernen unbedingt dazu!
Kennt ihr das Buch The Fearless Organization von Amy C. Edmondson? Ein sehr empfehlenswertes Buch. Es geht darin um das Thema Psychological Safety, psychologische Sicherheit, die in einer Organisation erforderlich ist, um wirklich erfolgreich zu sein. Amy Edmondson geht dabei auch auf das Thema Fehler ein – da gibt es ja durchaus einen Zusammenhang.
Während ich immer genau den Gedanken zumindest theoretisch im Kopf hatte – Fehler sind notwendig, um zu Lernen – hat sie das Verständnis für die Notwendigkeit von Fehlern aus meiner Sicht nochmal auf ein anderes Level gehoben.
„Es ist nicht ausreichend, Fehler einfach nur zu akzeptieren, wenn sie passieren, und dann weiterzumachen und mehr oder weniger darauf zu hoffen, dass das nicht wieder passiert.
Wir dürfen Fehler nicht als etwas verstehen, das es zu fürchten oder zu vermeiden gilt, sondern als ganz selbstverständlichen Teil des Lernens und Erkundens. So wie Fahrrad fahren lernen beinhaltet, dass wir uns mal das Knie aufschlagen.
Vielmehr wird das Vermeiden von diesem Schmerz, beim Lernen Fehler zu machen, zu noch mehr Schmerz führen.“*
Fehler sind also nicht notgedrungen zu akzeptieren, sondern ein ganz elementarer Aspekt von Innovation und Lernen – das eine geht gar nicht ohne das andere.
Das heißt im Endeffekt, dass es manchmal sogar kontraproduktiv sein kann, Energie auf Fehlervermeidung zu verwenden (oder zu verschwenden), weil uns das vom Lernen abhält – während es doch viel sinnvoller wäre, diese Energie in neue Ideen zu investieren. Und ich glaube, dabei sollten wir nicht nur neue Produkte, wirklich große Innovationen im Blick haben, sondern das gilt immer dann, wenn wir neue Wege gehen, etwas anders machen als bisher – auch im Kleinen. Jeden Tag.
Ich mache lieber keine Fehler.
Ich hab das Gefühl, das ist genau das Problem, warum mir kein FuckUp einfällt – gewissermaßen mach ich wirklich keine Fehler. Was aber nicht gut ist, sondern mich im Gegenteil einschränkt, zu lernen und zu wachsen. Keine Fehler zu machen ist heutzutage kein Gütesiegel mehr für hervorragende Arbeit!
Denn das bedeutet im Umkehrschluss ggf. auch, dass wir nicht genug ausprobieren, keine neuen Wege gehen, nicht mutig genug sind dafür. Weil Fehler eben doch immer nur in der Theorie etwas Wertvolles sind, um zu lernen.
Um aber dahin zu kommen, dass wir Fehler wirklich so sehen können, brauchen wir als Organisation die notwendige Sicherheit, dass Fehler machen WIRKLICH ok ist. Dafür gibt es u.a. jedes Jahr diese FuckUp-Night, um Raum zu schaffen, offen über Fehler zu sprechen, über Dinge, die schief gegangen sind und aus denen jemand etwas gelernt hat. Weil es damit auch immer ein bisschen normaler und leichter wird, darüber zu sprechen. Und ich wünsche uns hier (und darüber hinaus), dass es perspektivisch immer alltäglicher und selbstverständlicher wird, darüber zu sprechen.
Gilt das wirklich für alle Fehler? Sind alle Fehler gleich?
Aber ist meine Aussage von eben nicht vielleicht doch ein wenig zu pauschal? Sind denn wirklich alle Fehler gleich? Was mich in dem Buch The Fearless Organization auch noch angesprochen hat, ist eine Art Klassifizierung von Fehlern und ein sinnvoller und wertschöpfender Umgang damit – in vermeidbare, komplexe und intelligente Fehler.
Vermeidbare Fehler
Vermeidbare Fehler sind natürlich nicht so cool und selten gute Nachrichten. Wenn bspw. ein Programmierer zum 4. Mal bei der Produktionsübergabe einer Anwendung denselben Fehler macht und danach die gesamte Anwendung in Produktion steht, ist das möglicherweise eher ein vermeidbarer Fehler.
Komplexe Fehler
Auch komplexe Fehler sind nicht so wirklich toll – Fehler, die beispielsweise dadurch entstehen, dass verschiedene Probleme gleichzeitig auftreten, mit denen man so einzeln für sich hätte umgehen können, die aber in der Menge zu komplex sind, um ihre Wirkung genau vorherzusehen.
Diese beiden Arten von Fehlern sind es nicht unbedingt, die man im großen Stil feiern sollte, sondern wenn sie auftreten gilt es, passende Maßnahmen zu finden, damit sie nicht nochmal passieren.
Zum Beispiel dass der Entwickler von einem anderen Teammitglied nochmal intensiver im Übergabeprozess angeleitet wird. Oder im Fall eines komplexen Fehlers eine Analyse durchzuführen, wie man das beim nächsten Mal verhindern kann. Risikofaktoren zu identifizieren für die Zukunft. Davon abgesehen sollte aber auch für diese Art von Fehlern immer unser Ziel sein, dass wir etwas daraus lernen.
Intelligente Fehler
Dann gibt es intelligente Fehler. Die sind zwar auch nicht lustig, sind aber trotzdem als gute Nachrichten anzusehen aufgrund des Werts oder des Gewinns, den sie mit sich bringen. Die darf man ruhig feiern, weil sie uns als Mensch oder Team oder ganze Organisation weiterbringen. Genau solche FuckUps wollen wir hier heute feiern.
Fehler erfordern auch eine „blamefree postmortem culture“.
Ich möchte noch einen weiteren Gedanken mit euch teilen und habe auch noch eine eigene kleine Geschichte dazu. Wir reden bei Fehlern oft über die Situation, in der der Fehler passiert, und über die Situation direkt danach. Wird ein Fehler „sanktioniert“ oder sind wir wirklich schon soweit, dass wir ihn als Chance zum Lernen nutzen, ohne negative Konsequenzen – und dass aber nicht nur direkt danach, sondern dauerhaft.
Kürzlich gab es bei Amazon einen gravierenderen Ausfall, durch den große Teile von Amazon nicht mehr nutzbar waren. Hinterher entspann sich dazu ein interessanter Austausch auf Twitter zwischen denen, die sich darüber amüsierten, dass bei Amazon nun jemand einen neuen Job sucht – und zwischen denen, die genau diesen Gedanken als großes Missverständnis bezeichneten, da Weltklasseteams eine sogenannte „blamefree postmortem culture“ – eine beschuldigungsfreie postmortem Kultur schätzen. Und dass genau diese Person, die den Fehler „verursacht“ hat – oder besser gesagt durch ihr Tun eine Schwachstelle aufgedeckt hat – genau die erste sein sollte, die man im eigenen Team haben will. Weil das Aufdecken solcher Schwachstellen eben einfach essentiell wichtig ist.
Dazu gehört es, dass solche Fehler – auch dauerhaft – ok sind, ohne dass die Person direkt danach oder zu einem späteren Zeitpunkt (zum Beispiel im Jahresendgespräch) mit negativen Konsequenzen rechnen muss.
Natürlich geht auch bei mir mal was schief.
Ich hatte vor ein paar Jahren hier auf einer FuckUp-Night von einem eigenen FuckUp erzählt, als ich bei einem früheren Arbeitgeber mit einem kleinen Sortierungsfehler in Excel dafür gesorgt hatte, dass bei einer Versandaktion sämtliche Schulen des gesamten Bundeslandes falsche Mengen an Unterlagen zugeschickt bekommen haben. Große Wirkung also mit enormen Zusatzkosten, erheblichem Mehraufwand für alle Beteiligten und außerdem noch mit negativer Aussenwirkung bei allen betroffenen Schulen.
Statt mich aber dafür anzuzählen, hat mir mein damaliger Chef etwa ein halbes Jahr später die nächste Großaktion zur Durchführung anvertraut, weil er fest davon überzeugt war, dass ich das richtig machen werde. Das ist jetzt gut 20 Jahre her und er hatte sicherlich noch nie von Psychological Safety, FuckUp-Nights und Postmortem-Kultur gehört. Er sagte damals nur zu mir „Fehler passieren“.
Und hat damit finde ich schon einiges richtig gemacht.
Was können wir daraus mitnehmen?
Nun möchte ich trotz allem ungern mit dem Aufruf enden „lasst uns endlich mehr FuckUps produzieren“ – immerhin haben wir auch Vorstände im Raum und ich möchte ja ungern schon den ersten FuckUp für nächstes Jahr erzeugen 😉 Mein Appell geht daher dahin:
Lasst uns mutiger sein! Lasst uns mehr ausprobieren! Und wenn was schief geht, lasst uns gemeinsam lernen daraus und als normal ansehen, dass solche Situationen dazu gehören. Dass sie wichtig sind!
Und was wir alle dafür tun können ist, aufzuhören andere in irgendeiner Form zu beschuldigen oder uns über sie lustig zu machen, wenn was schiefgeht und stattdessen damit anzufangen, unsere eigenen Geschichten zu teilen.
Und in diesem Sinne hoffe ich auf spannende FuckUps heute Abend – und noch viele weitere spannende für die nächste FuckUp-Night.
Wie gehst du mit Fehlern um?
Das war meine Keynote zu unserer FuckUp-Night. Natürlich sagt sich das alles immer so leicht. Keiner möchte Fehler machen und am Ende doof dastehen. Kürzlich hörte ich dazu eine etwas andere Version des schon insbesondere im agilen Kontext oft verwendeten Ausspruchs „fail fast“:
„Learn early. Learn often.“
Den Gedanken fand ich sehr schön. Vielleicht sollten wir uns gar nicht so sehr auf Fehler fokussieren. Weder auf das Vermeiden noch auf das Machen. Sondern einfach mit dem Lernen im Kleinen jeden Tag anfangen.
—
* Nicht ganz wörtliche Übersetzung eines Zitats aus The Fearless Organization, von Ed Catmull, Co-Gründer von Pixar, S. 108.
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