Letzte Woche fragte eine Bekannte aus Berlin meinen Mann und mich, ob wir kurzfristig zwei Flüchtlinge aus der Ukraine bei uns aufnehmen könnten, die eine Unterkunft in Köln suchten. Wir sagten zu und nahmen mit den beiden Kontakt auf.
In den Wochen davor hatten wir immer wieder mal darüber nachgedacht, Flüchtlingen unser Gästezimmer zur Verfügung zu stellen – bisher allerdings ohne konkrete Maßnahmen. Die Frage unserer Bekannten brachte uns letztlich von jetzt auf gleich zu einer Entscheidung, die wir sonst vermutlich noch länger vor uns hergeschoben hätten. Das fühlte sich erst einmal gut und richtig an.
Alles sicher, oder?
Allerdings verhalf mir diese Entscheidung auch zu einer emotionalen Achterbahnfahrt. Ich machte mir schlagartig über gefühlte tausend Dinge Gedanken, die ich vorher wunderbar vor mir herschieben konnte. Ich schlief in der anschließenden Nacht ziemlich schlecht und fühlte mich auf einmal unfassbar gestresst. Dabei hatte sich doch noch gar nichts verändert.
Was war hier los?
Zum Glück nahm ich mir die Zeit, über diese Frage nachzudenken und dieser plötzlichen Anspannung auf den Grund zu gehen. Dabei merkte ich, dass mich gar nicht nur der Gedanke stresste, wildfremde und möglicherweise traumatisierte Menschen in Coronazeiten in meinem Gästezimmer zu beherbergen. Ich hatte das Gefühl, das war nur der letzte Tropfen an „Unsicherheit“, die ich gerade in der Lage war auszuhalten, neben all den vielen Unsicherheiten, die zur Zeit in meinem Leben präsent sind. Dabei meine ich gar nicht nur meine ganz persönlichen, sondern mehr noch die großen Unsicherheiten in der Welt, die mich beschäftigen. Die weiterhin präsente Pandemie und ihre Auswirkungen. Die nach wie vor ungelöste Klimakrise. Ein Krieg in Europa. Zu viele politische Entscheidungen, die ich gerade einfach nicht mehr nachvollziehen kann. Um nur ein paar davon zu nennen.
Ich hatte nicht wahrgenommen, vielleicht auch nicht wahrnehmen wollen, wie nah mir das alles geht. Mit dem Gedanken an Flüchtlinge in meinem Gästezimmer wurde mir das auf einmal sehr bewusst und das Maß an Unsicherheit spürbar präsent.
Sichere Unsicherheit – gibt es das?
Ein paar Tage später las ich ein Zitat, das sehr mit mir resonierte.
„Die Qualität deines Lebens steht in direktem Zusammenhang mit der Menge an Unsicherheit, die du sicher aushalten kannst.“
– Jim Rohn –
Mir ist ja durchaus klar, dass ich nicht einfach eine Pandemie auflösen oder einen Krieg beenden kann. Ich kann nicht beliebig das Maß an Unsicherheit in meinem Leben reduzieren, weil manche Dinge gerade einfach so sind, wie sie eben sind.*
In Teilen will ich das auch gar nicht, weil das bedeuten würde, mich einzuschränken, Dinge nicht zu machen, obwohl ich sie vielleicht machen will, einfach weil sie das Maß an Unsicherheit in meinem Leben erhöhen.
Der Versuch, die Unsicherheit in meinem Leben zu ignorieren, funktioniert aber auch nicht. Mir wurde bewusst, dass meine Maßnahmen im Umgang damit nicht gut waren. Ich hatte versucht, Unsicherheiten so gut wie möglich auszublenden und aus meinem Leben herauszuhalten. Jetzt merkte ich, wie leicht das auf diesem Weg unbemerkt aus dem Gleichgewicht geraten kann.
Gute Maßnahmen sind gefragt.
Wie kann ich die Menge an sicher aushaltbarer Unsicherheit erhöhen? Wie kann ich lernen, mich auch in Unsicherheit sicher zu fühlen?
Ich brauche bessere Strategien und Maßnahmen, um Unsicherheit sicher aushalten zu können. Diese Erkenntnis hat mich dazu gebracht, meine eigene Toolbox mit kleinen, leichtgewichtigen Methoden aufzurüsten, die mich emotional stärken und resilienter machen. Mir ist bewusst geworden, wie wichtig es für mich ist, diesen Dingen Zeit einzuräumen, um damit die Menge an Unsicherheit zu erhöhen, die ich sicher aushalten kann.
Meine aktuellen zwei Favoriten (neben Meditation) möchte ich gerne mit dir teilen:**
1. Hier&Jetzt-Übung: Diese Übung (auch 5-4-3-2-1-Methode genannt) hilft mir ganz leicht, mich wieder auf den aktuellen Moment zu fokussieren, wenn meine Gedanken zu wild in die Zukunft springen und sich im schlimmsten Fall zu negative Szenarien ausmalen. Diese Übung lässt sich einfach in den Alltag integrieren und dauert nicht lange. Du kannst sie bspw. wunderbar bei einem Spaziergang oder in der Supermarktschlange machen. Konzentriere dich der Reihe nach genau in diesem Moment auf Folgendes und nehme bewusst wahr:
- 5 Dinge, die du sehen kannst
- 4 Dinge, die du hören kannst
- 3 Dinge, die du fühlen kannst
- 2 Dinge, die du riechen kannst
- 1 Ding, das du schmecken kannst
Diese Übung hilft dir, direkt wieder ins Hier und Jetzt zu kommen, das Gedankenkarussell zu stoppen und die eigenen Sinne als Anker in der Gegenwart zu aktivieren.
2. Fokus-Achtsamkeitsübung: „Where focus goes energy flows“ besagt ein Sprichwort. Daher halte ich es für wichtig, immer wieder zu beobachten, worauf ich meinen Fokus richte. Sind das die Dinge, die mir wichtig sind? Oder sind das eher Dinge, die ich vermeiden möchte. Wohin investiere ich meine Aufmerksamkeit – auf das, was ich möchte und was mir Energie gibt? Oder auf das, was ich nicht will und was mich meine Energie kostet?
Um sich im Alltag immer wieder zu justieren, achtsam zu sein und bewusst den eigenen Fokus auf die wichtigen Dinge zu lenken, mag ich diese kleine Achtsamkeitsübung sehr. Sie kostet nur eine Minute und lässt sich ebenfalls ganz leicht zwischendurch ausführen. Ich setze sie gerne ein, wenn ich merke, dass ich mich gestresst fühle, d.h. meinen Fokus auf die Dinge gerichtet habe, die ich nicht möchte und die mir meine Energie rauben. Die Übung besteht aus 5 Schritten:
- Anhalten – bewusst einen Stop machen.
- Atmen – mich für einen Moment auf den eigenen Atem konzentrieren.
- Beobachten – aufmerksam wahrnehmen, was gerade ist und passiert. Bin ich gestresst, bin ich angespannt, was mache ich gerade?
- Weitermachen oder Verändern – eine bewusste Entscheidung treffen, ob die Situation für mich in Ordnung ist oder ob ich etwas verändern möchte, z.B. mein Verhalten, meine Entscheidungen, wie ich über die Situation denke oder fühle – all das kann ich beeinflussen.
- Intention setzen – was nehme ich mir bewusst für den heutigen Tag vor, um meine Situation so anzugehen, wie ich es mir unter Schritt 4 überlegt habe?
Unsicherheit – aber möglichst sicher!
Die beiden Flüchtlinge, die ursprünglich in unser Gästezimmer einziehen wollten, sind am Ende übrigens in einer anderen Stadt geblieben, so dass wir bisher noch keine Gäste aus der Ukraine in unserem Haus haben. Wir haben dieses Erlebnis allerdings zum Anlass genommen, uns endlich bei zwei Vermittlungsportalen anzumelden und unser Gästezimmer nun offiziell für Flüchtlinge anzubieten.
Ich möchte das weiterhin tun und fühle mich dafür heute besser gewappnet.
———
* Den Begriff der VUCA-Welt haben mittlerweile vermutlich die meisten von euch schon gehört.
** Diese und noch weitere Methoden findest du auch in meiner digitalen Toolbox. Wenn du magst und es dir vielleicht ähnlich geht, schau dich doch einmal um, was davon dir zusagt, was du vielleicht noch nicht kennst oder was eventuell einfach nur in Vergessenheit geraten ist, dir aber jetzt gerade helfen könnte.
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