In meinem letzten Blogbeitrag über die Wirkung unserer Sprache bin ich auch kurz auf das Thema Reframing eingegangen. Da es sich bei Reframing – der sogenannten Umdeutung – auch um ein Tool handelt, das im Systemischen Coaching eingesetzt werden kann, möchte ich diese Interventionsmöglichkeit gerne noch etwas ausführlicher vorstellen.
Reframing gibt einer Situation eine neue Bedeutung.
Bei Wikipedia findet sich die folgende Erläuterung:
Durch Umdeutung wird einer Situation oder einem Geschehen eine andere Bedeutung oder ein anderer Sinn zugewiesen, und zwar dadurch, dass man versucht, die Situation in einem anderen Kontext (oder „Rahmen“) zu sehen. Die Metapher hinter dem Ausdruck geht darauf zurück, dass ein Bilderrahmen den Ausschnitt des Gesamtbildes definiert, wie dies auch jemandes Blickwinkel bzgl. der Realität tut. Rahmen bedeutet auch ein Konzept, was unsere Sicht eingrenzt. Verlassen wir diese geistige Festlegung, können neue Vorstellungen und Deutungsmöglichkeiten entstehen.
Einem in der Umdeutung geschulten Menschen ist es durch Kommunikation möglich, Szenen in einem anderen Blickwinkel (Rahmen) erscheinen zu lassen, sodass er es Beteiligten erleichtert, mit der Situation umzugehen.
Reframing bedeutet also, dass man einer Aussage durch eine geänderte Formulierung eine neue Sichtweise mitgeben kann – in der Regel von einer negativen zu einer zumindest positiveren Sicht. Das kann gerade dann sinnvoll und hilfreich sein, wenn der ursprünglich negativen Aussage auch Annahmen und Interpretationen zugrunde liegen, von denen der Coachee gar nicht weiß, ob sie wirklich richtig sind. Wenn sich also ein Coachee im Gespräch negativ über irgendeine Situation äußert, kann eine gut gewählte Umdeutung dieser Aussage durch den Coach den Coachee zum Nachdenken und Überdenken seiner bisher gefassten Sichtweise anregen.
Reframing bedeutet nicht einfach nur Schönreden.
Für mich hat das nichts mit Beschönigen oder dauerpositivem Denken zu tun, sondern ich sehe Reframing als Hilfe, einen Gedanken auch mal von einer anderen – einer positiveren – Seite zu betrachten. Wie oft nehmen wir einen negativen Gedanken als wahr an, obwohl es sich in Wirklichkeit um eine Annahme handelt, deren Wahrheitsgehalt gar nicht bestätigt ist? Was wäre, wenn wir eine solche unverifizierte negative Annahme positiv sehen? Solange wir nicht wissen, was wirklich richtig ist, könnten beide Sichtweisen korrekt sein. Die positivere vermittelt aber ein besseres Gefühl dabei und hilft möglicherweise dem Coachee, seinen Blickwinkel zu erweitern. Das gibt ihm letztlich wieder mehr Handlungsspielraum, wie er mit der konkreten Situation umgehen kann.
Ein paar Beispiele für Reframing.
Anstatt: Das Glas ist halb leer.
Besser: Das Glas ist halb voll.
Anstatt: Ich stand ewig in der Warteschlange an der Supermarktkasse.
Besser: Ich hatte Zeit, Podcast zu hören und meine Gedanken schweifen zu lassen.
Anstatt: Das ist richtig schief gegangen.
Besser: Ich habe etwas ausprobiert und viele Erfahrungen dabei gesammelt.
Reframing lässt sich überall einsetzen – nicht nur im Coaching.
Reframing ist aber nicht nur ein Coachingtool, sondern kann auch in ganz normalen Alltagssituation und Gesprächen eingesetzt werden. Als ich mich mal vor längerer Zeit bei meiner Tante darüber beschwerte, dass meine Mutter gefühlt immer so wenig Zeit für mich am Telefon hätte und alle anderen Themen um sie herum immer so viel dringlicher zu sein schienen, sagte meine kluge Tante zu mir:
„Deine Mutter weiß, dass sie sich um dich keine Sorgen machen muss. Du bist für sie da eine sehr große Erleichterung.“
Dieser Satz ist mir hängen geblieben. So hatte ich über die Situation noch nie nachgedacht, ich sah nur meine eigene Sicht dabei. Seit diesem Gespräch konnte ich anders mit meinem negativen – und unverifizierten – Gedanken umgehen. Ich war mir auf einmal sicher, hätte ich mal ein Problem gehabt und das meiner Mutter auch gesagt, sie hätte sich alle erforderliche Zeit für mich genommen.
Einen schönen weiterführenden Text zum Thema Reframing findet ihr bei Zeit zu leben.
—
Disclaimer: Dass es nun gerade zeitgleich in den Medien eine Framing-Debatte gibt, war bei meinem letzten Blogbeitrag über Sprache noch nicht abzusehen 🙂 Ich beschreibe hier Framing und Reframing rein aus meiner Sicht als Coach bzw. als Coachingtools.
Zu Deinen Beispielen:
Anstatt: Das Glas ist halb leer.
Besser: Das Glas ist halb voll. <– Einverstanden, sehe ich genauso!
Anstatt: Ich stand ewig in der Warteschlange an der Supermarktkasse.
Besser: Ich hatte Zeit, Podcast zu hören und meine Gedanken schweifen zu lassen.
Warum muss ich denn hier wirklich zum Positivem schwenken?
Zum einen kann es ja so sein, dass es wirklch ewig gedauert und ich mich nicht anderweitig abgelenkt habe. Vielleicht ist mir die Sch… Warterei wirklich auf den Sack gegangen. Also warum positiv ausdrücken? Vielleicht geht es mir trotz negativer Betrachtung der Lage, dennoch besser, als das ich kramphaft versuche einen positiven Aspekt zu finden (und ihn vielleicht nicht finde, so sehr ich mich auch bemühe oder gar gecoacht wurde). Ja dann hat´s mal länger gedauert, kann ja mal vorkommen.
Anstatt: Das ist richtig schief gegangen.
Besser: Ich habe etwas ausprobiert und viele Erfahrungen dabei gesammelt.
Großer Bullshit! Ich habe versucht etwas zu bauen, vielleicht nach eigenem Plan, das ist schief gegangen, es sind hoffenlich keine Menschen oder Tiere zu Schaden gekommen.
Diese ganze Rumgesülze alles krampfhaft positiv ausdrücken zu wollen, hilft m.E. keinem. Warum? Wenn beim Bau eines Hauses irgendeine noch so kleine Sache schiefgeht, soll der Bauleiter oder gar der Bauherr sagen: Ist ja nicht schlimm, beim nächsten Versuch geht´s bestimmt besser. ?
Bullshit!! Der wird fragen: Wer soll das bezahlen? Wer ist hier Schuld? Schließlich sind das Profis!!!
In besonderen Lebenssituationen ist es allerdings Gang und Gebe alles positiv ausdrücken zu wollen, damit nicht noch mehr Trübsal aufkommt, z.B. am Lebensende, als Trost für die Hinterbleibenden(!) oder für den/die Dahinscheidende/n.
Besondere Situationen erfordern besondere Ansprachen.
Mein Fazit: Von Anfang* an die Dinge beim Namen nennen, so wie es ist, sonst verlernt man die negative Seite der Sprache und wir wollen doch alle sprachgewandt sei, oder?
*Sobald kleine Kinder das Sprechen lernen oder wenn wir als Eltern mit unseren Kinder sprechen, ist es m.E. notwendig alle Aspekte der Sprache zu nutzen und zwar im eigentlichen Sinne: Ja = ja; Nein = nein, schlecht = schlecht und gut = gut.
In diesen Sinne alles Gute.
Danke für deine Anmerkungen zu meinem Blogbeitrag. Darin geht es wie geschrieben ausdrücklich nicht um dauerpositives Schönreden. Reframing ist ein Coachingtool, mit dem ich einem Coachee helfen kann, das Thema, das ihn beschäftigt, auch mal von einer anderen Seite zu betrachten und den eigenen Blickwinkel zu verändern. Das kann ihn darin unterstützen, wieder Handlungsoptionen in einer für ihn verfahrenen Situation zu erkennen. Aus meiner Sicht ist das insbesondere dann wichtig, wenn der Coachee gar nicht weiß, was wirklich wahr ist, sondern sein Verständnis lediglich auf Annahmen basiert. Es geht also überhaupt nicht um den Bauleiter, der seinem Kunden schlechte Qualität verkaufen will.
Und du musst natürlich gar nichts. Mein Blogbeitrag soll niemandem sagen, was er müssen soll. Wenn du dich in einer Warteschlange über die lange Wartezeit aufregen möchtest, dann tu das gerne weiterhin. Mir persönlich hilft es, solchen Situationen auch etwas Positives abgewinnen zu können, statt mit schlechter Laune nach Hause zu gehen. Darüber freut sich übrigens auch mein Umfeld 🙂