Vom Umgang mit Krisen und was man daraus mitnehmen kann

Kürzlich hatte ich wieder die Gelegenheit, eine Session auf unserer Campus Session Time zu halten. Außerdem durfte ich diese Session anschließend auch  in einer globalen Einheit auf englisch wiederholen.

Für die Session hatte ich mir einen aktuellen Artikel zur Covid19-Pandemie ausgewählt, in dem beschrieben wurde, was für den Umgang mit einer solchen Krise wichtig ist.

Der erwähnte Artikel ist aus dem Chronicle und heißt Why You Should Ignore All That Coronavirus-Inspired Productivity Pressure von Aisha S. Ahmad. Die Autorin hat schon verschiedene Situationen erlebt, Krieg, Hungersnot, Gefangenschaft, gewalttätige Konflikte, Katastrophen etc. und hatte somit schon einige Gelegenheiten, Erfahrung mit Krisen zu sammeln. Ihre Erkenntnisse wollte ich in der Session teilen und noch um ein paar eigene Gedanken ergänzen. 

Hier möchte ich mein (nun etwas stärker ausformuliertes) Manuskript mit euch teilen.* Zur englischen Variante bitte hier entlang.

Warum man all den corona-inspirierten Produktivitätsdruck ignorieren sollte

In den letzten Wochen habe ich beobachtet, wie unterschiedlich die Menschen in meinem Umfeld mit der aktuellen Situation umgehen. Da sah ich Reaktionen wie „betrifft mich nicht“, nicht ernst nehmen, genauso Angst und krasse Unsicherheit, hektische Betriebsamkeit oder so tun als wenn nichts wäre, mehr oder weniger weitermachen wie bisher, ich erlebte Wut und Verärgerung, aber auch Menschen, die nun Neues ausprobieren, Ideen entwickeln, wie sie sich in der veränderten Situation zurechtfinden, ich merkte, wie Kreativität entstand. Und auch wie Menschen anderen Menschen helfen – es war alles dabei.

Was aber ist eigentlich ein geeigneter Modus, um mit einer Krise umzugehen?

Die Autorin geht in ihrem Artikel darauf ein, dass sie aktuell viel Aktionismus wahrnimmt. Sie interpretiert das als Versuch, irgendwie Normalität aufrecht zu erhalten. Jeder macht jetzt Onlinekurse, Yoga-Challenges, dies und das …. man muss sich jetzt nur richtig ins Zeug legen, muss da durch bis wieder alles normal und diese Phase vorbei ist. Und dabei kommt die Frage auf, wann diese Phase wieder vorbei sein wird.

Hierzu ein Zitat aus dem Artikel:

„Never … It will change the way we move, build, learn, and connect. There is simply no way that our lives will resume as if this had never happened.“

Nach Aussage der Autorin ist es wichtig, sich auf eine dauerhafte Veränderung einzustellen und gut darauf vorzubereiten. Dafür bietet sie 3 Schritte an, wie man sich an diese Krisenbedingungen anpassen kann, um möglichst gut damit klar zu kommen.

Schritt 1: Security

Neulich hörte ich in einem Broadcast den Satz:

„It’s ok not to be ok.“

Es ist ja total „normal“, dass man sich gerade nicht gut fühlt. Die ersten Tage und Wochen einer Krise sind entscheidend, daher ist es immens wichtig, für ein neues Fundament zu sorgen, eine physische und psychologische Infrastruktur aufzubauen und sich dabei als allererstes auf die eigene Sicherheit zu fokussieren. Es geht jetzt darum, ein sicheres und nachhaltiges soziales Netz aufzubauen, ein Team bspw. aus Familie und engen Freunden, so dass sich alle gegenseitig ermutigen und unterstützen können. Dabei sind natürlich auch diejenigen einzubinden, die Hilfe brauchen und nicht alleine zurecht kommen, wie bspw. kranke Menschen im eigenen Umfeld.

Ignoriere den Lärm um dich herum (bspw. auf Instagram, Facebook & Co.). Fokussiere dich stattdessen auf deine physische und psychologische Sicherheit. Überleg dir einen Plan, wie du deinen Alltag unter den neuen Rahmenbedingungen bewältigen kannst. Denk nicht darüber nach, was du jetzt gerade nach Meinung anderer vielleicht tun MÜSSTEST und wie du die Zeit am besten nutzen SOLLTEST.  Es ist jetzt gerade nicht schlau, in hektische Betriebsamkeit zu verfallen. Viel wichtiger ist es jetzt, dir wieder ein sicheres Fundament aufzubauen, mit dem du auch über einen längeren Zeitraum physical distance und all die Begleiterscheinungen so gut wie möglich aushalten kannst.  

Was heißt das für uns?
Wenn ich mich mit diesen Gedanken im Kopf umschaue, sehe ich bspw. Familien, bei denen plötzlich die Kinder jeden Tag Zuhause sind und der Alltag ganz neu organisiert werden muss. Da arbeitet einer am Küchentisch, ein anderer im Keller … Oder einer kann gar nicht mehr arbeiten, weil die Firma schließen musste. Anderswo gibt es Pflegepersonal oder kranke Leute in der Familie, die nun besonderen Risiken ausgesetzt sind. Geschätzte Aktivitäten fallen weg, die bisher für emotionale/psychische Stabilität sorgen konnten, der Freundeskreis und die Familie zum Beispiel.

In dieser Situation ist absolut kein zusätzlicher Druck von Außen hilfreich „wie man jetzt agieren muss“. Stattdessen sollte es für jeden die allerhöchste Priorität haben, sich wieder eine sichere Infrastruktur zu schaffen.

Schritt 2: Mental shift

Wenn diese Sicherheit erreicht ist, dann bist du soweit, wieder herausforderndere Tätigkeiten zu übernehmen. Du kannst dich jetzt auf die neuen Bedingungen einlassen und bist du wieder in der Lage, auch unter den gegebenen Rahmenbedingungen eine bessere Performance zu schaffen.  

Geh hier aber nicht vorschnell vor! Bevor du losrennst, lerne erst wieder laufen in der jetzigen Situation. Es geht nicht darum, Hochleistungen zu erbringen, sondern sich auf diesen Change zu fokussieren. Lass dir hierfür Zeit.

Hierzu ein Zitat aus dem Artikel:

„Take your time. Let it distract you and change how you think and how you see the world.“

Es ist eine Art menschlicher Transformation. Es geht nicht darum, mehr, zu machen schneller zu werden, beschäftigt zu sein – das ist Verweigerung und keine Akzeptanz. Verweigerung verzögert aber den Prozess, in die Akzeptanz zu kommen. Lass dich darauf ein und sei langsam dabei.

Was heißt das für uns?
Am Anfang dieser Zeit dachte ich, ich kann meine Arbeit als Agile Master einfach so weitermachen wie bisher. Nur remote eben. Heute weiß ich, es ist ein Unterschied. Es ist besser, zu beobachten, was für mich bzw. mein Team, meine Kolleginnen und Kollegen funktioniert und was nicht. Was kann ich anders machen? Wie geht es mir selbst dabei? Welche Erfahrungen mache ich? Wie komme ich persönlich mit der Situation zurecht? Habe ich neue Strukturen und Routinen gefunden, die für mich gut funktionieren?

Stelle ich vielleicht plötzlich fest, dass mir gar nicht alles fehlt, was ich bisher immer für so wichtig hielt? Vermisse ich dagegen ganz andere Dinge, die ich bisher nie wirklich wahrgenommen und geschätzt habe? Worüber bin ich gerade glücklich und dankbar?

Die letzten Monate vor dem Lockdown waren bei mir – mit schönen Sachen und freiwilllig – total vollgepackt. Als nun diese „Coronazeit“ anfing dachte im 1. Moment „Oh mein Gott – ich kann davon jetzt gar nichts machen!“ Aber nach einigen im Vergleich zu vorher unfassbar ereignislosen Wochen merkte ich, wie sehr ich das auch genoss – und habe aufgehört mich darüber zu beklagen. Ich fing an, nach Alternativen zu suchen für die Aktivitäten, die mir wirklich wichtig sind, wie z.B. Gespräche mit Freunden. Ich merkte, dass ich mich auf einmal mehr mit Leuten unterhalte, die weiter weg wohnen und fragte mich, warum ich das nicht schon viel früher gemacht habe? Ich beobachte gerade intensiv, was für mich funktioniert und was nicht. 

Wir brauchen neue Routinen.

Normalerweise gehe ich zu Fuß zur Arbeit. Das ist für mich immer eine sehr schöne Möglichkeit, nach der Arbeit abzuschalten. Da ich das jetzt nicht mehr machen kann, schnappe ich mir jetzt immer meinen Mann und wir gehen eine Runde spazieren, Rad fahren oder durch den Wald laufen, um dieses Bedürfnis weiter abzudecken. Während der Mittagspause Zuhause und auch nach getaner Arbeit räume ich auch meine Arbeitssachen immer weg, damit sie mich in meiner Freizeit nicht unnötig ablenken.

Eine Kollegin liebt es wie ich zu reisen und hat daher in der Vergangenheit ihre Terrasse kaum genutzt. Neulich erzählte sie mir, sie sei gerade dabei, ihre Terrasse neu und schön zu gestalten. Als Kompensation für Urlaub, den sie jetzt nicht machen kann.

Eine Sache ist mir hier wichtig: Es ist ok, wenn nicht alles reibungslos funktioniert. Wir brauchen keine Perfektion! Die hilft unter normalen Umständen schon selten, aber jetzt gerade hilft sie gar nicht.

„It’s ok not to be ok.“

Ich habe einen Freund, der normalerweise immer ein sehr optimistischer Typ ist. Ich kenne ihn praktisch nur so. Er hat ein kleines Kind. Als ich neulich mit ihm telefonierte und ihn fragte, ob alles ok sei, sagte er zum 1. Mal: „Mit einem kleinen Kind ist gerade nichts ok.“

Es ist unrealistisch, dass alles so weiter funktionieren kann wie bisher. Daher ist es nötig, dass jeder für sich neue Routinen findet und einen neuen Alltag, der so auch täglich funktioniert. Statt zu versuchen, alles perfekt zu machen ist es gerade außerdem viel wichtiger, für sich Wege zu finden, die eigene positivte Energie hochzuhalten – auch mit Kindern! Die brauchen wir gerade alle! Da ist bspw. Meditation eine gute Methode zur Stressreduzierung – schon eine Minute tiefes Durchatmen reicht, wenn man nicht mehr Zeit zur Verfügung hat.

Schritt 3: Embrace a new normal

Wenn Sicherheit erreicht ist, wenn dieser mental shift erreicht ist, dann – und erst dann – fängt die Situation an, sich wieder normaler anzufühlen. Veränderung wird akzeptiert. Jetzt ist es an der Zeit, neue Idee entstehen zu lassen. Jetzt ist es möglich, Neues auszuprobieren. Jetzt – nicht früher!

Wir sind aber noch nicht hier. Wir sind noch nicht bei Schritt 3. Vielleicht der eine oder andere von uns in manchen Bereichen. Aber insgesamt sind wir das noch nicht, denn diese Reise, diese Veränderung ist eine sehr individuelle. Die jeweilige persönliche Situation von jedem einzelnen von uns ist eine sehr individuelle. Momentan sind wir noch nicht weit genug, um eine neue Normalität zu umarmen, da wir noch damit beschäftigt sind, wieder eine neue und sichere Infrastruktur aufzubauen und diesen mental shift zu schaffen. Wir müssen erst noch herausfinden, was noch funktioniert und was in unseren Leben kaputt gegangen ist.

Hierzu ein Zitat aus dem Artikel:

„Understand that this is a marathon. If you sprint at the beginning, you will vomit on your shoes by the end of the month.“

Akzeptiere, dass dieser Marathon noch eine Weile dauern wird, gefolgt von einer langsamen Erholung danach. Am Ende kann keiner sagen, wie lange es wirklich dauern wird. Im Moment stehen wir erst am Anfang und die Welt hat sich bereits verändert. Daher ist es wirklich wichtig für uns alle, eine neue Baseline zu finden, eine neue Infrastruktur aufzubauen und einen Modus zu finden, den man möglichst gut eine Weile aufrechterhalten kann. 

Was heißt das für uns?
Wir werden am Ende dieser Pandemie nicht einfach weitermachen, als wäre nichts gewesen. Wir werden nicht mehr so arbeiten wie vorher. Remote-Arbeit zum Beispiel wird viel normaler werden, d.h. es ist wichtig, dass wir uns damit auseinander setzen und gute Ideen entwickeln. Ich habe das selbst immer abgelehnt. Ich wollte als Agile Master nicht remote arbeiten. Ich wollte in engem Kontakt mit meinem Team sein, mit den Menschen, mit denen ich zusammen arbeite. Nun akzeptiere ich, dass ein intensiveres Diskutieren dieser Frage notwendig ist. Das ist auch mit der Grund, warum unsere Campus Session Time heute so stattfindet wie sie stattfindet.

Was können wir daraus mitnehmen?

Am Anfang sagte ich „It’s ok, not to be ok.“ 

Es ist wichtig zu verstehen, dass hier jeder auf seinem ganz eigenen Weg ist, in seiner eigenen Geschwindigkeit und mit seinen eigenen Herausforderungen. Diese gilt es erst einmal für jeden aus dem Weg zu räumen, ohne sich von dem Lärm drumherum beeinflussen zu lassen. Da darf auch mal ein Scheißtag dabei sein, da darf man auch mal struggeln. Jeder geht durch diese Phasen durch und jede Situation ist erst einmal eine ganz individuelle.

Ich möchte, dass ihr das versteht und akzeptiert.
Baut euch eine neue Infrastruktur auf – das ist ein Marathon, kein Sprint.

Übung zur Ressourcenaktivierung

Am Ende meiner Session habe ich mit den Teilnehmern noch eine ressourcenstärkende Übung durchgeführt. Zum einen fand ich es gut, virtuell keinen reinen Vortrag zu halten, sondern das Ganze interaktiver zu gestalten, und zum anderen war es mir wichtig, möglichst alle mit einem positiven Gefühl aus der Session zu entlassen.

Wie die Übung funktioniert, beschreibe ich euch in einem späteren Blogbeitrag.

Vom Umgang mit Krisen und was man daraus mitnehmen kann


* Damit das Ganze kein reiner Dialog war, hatte ich zwischendrin verschiedene Abfragen an die Teilnehmer durchgeführt, die ich hier für eine bessere Lesbarkeit weggelassen habe.

4 Antworten auf „Vom Umgang mit Krisen und was man daraus mitnehmen kann“

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