Vom Tun ins Sein

Vor ein paar Tagen hatte ich die Gelegenheit, bei einer Veranstaltung einen ca. 15-minütigen Talk zu halten. Das Thema war sehr grob  umrissen, Transformation war das Stichwort und ich hatte mir überlegt, dass ich etwas über Werte und meine Rolle als Scrum Master erzähle. Den Talk möchte ich heute gerne auch als Blogbeitrag mit euch teilen. 

Vom Tun ins Sein.

Kürzlich unterhielt ich mich mit einem Kollegen, der gerade mit dem Gedanken spielt, Scrum Master zu werden. Er erzählte mir, dass er deswegen von anderen Kollegen mit der Aussage konfrontiert worden sei, als Projektleiter sei er für diese Rolle doch komplett überqualifiziert. Das hatte ihn doch überrascht und da er weiß, dass ich schon seit einer Weile Scrum Master bin, wollte er gerne meine Meinung dazu wissen. 

Die Frage meines Kollegen brachte mich wiederum dazu, meinen Werdegang als Scrum Master und meine Rolle in einer agilen Transformation zu reflektieren. Was muss ich als Scrum Master eigentlich können? Was macht mich als Scrum Master aus?

Ich glaube, die Rolle des Scrum Master wird sehr häufig unterschätzt. 

Jetzt müsst ihr wissen, dass ich bis vor 2,5 Jahren selber Projektleiter war und mich ganz bewusst dafür entschieden habe, Scrum Master zu werden. Scrum Master zu werden hieß für mich zunächst einmal, dass ich die konkreten Aufgaben des PL – Risikomanagement betreiben, Controlling zu machen, Statusberichte zu schreiben, Planung zu machen, das Projektbudget zu verwalten, aber auch im ganz klassischen Sinne ein Projektteam zu führen etc., – also mein bisheriges TUN als Projektleiter ersetze durch neue Aufgaben des Scrum Master – für eine erfolgreiche Umsetzung des Scrum-Prozesses zu sorgen, mein Team und meinen Product Owner zu unterstützen, bspw. in ihrer eigenen Entwicklung oder auch einfach bei der Durchführung von Meetings, Moderationen zu machen, Hindernisse zu beseitigen, mit anderen Scrum Mastern zusammen die agile Transformation in der Organisation vorwärts zu bringen etc. – das TUN des Scrum Master. 

Auf den 1. Blick habe ich einfach nur eine neue Aufgabe übernommen. Früher war ich im klassischen Projektmanagement zuhause und nun im agilen Umfeld. 

Im Laufe meiner Scrum Master Tätigkeit stellte ich aber irgendwann fest: Es ging gar nicht mehr nur ums TUN. Obwohl ich keine Führungskraft mehr war, wurde Leadership plötzlich ein Thema. Es ging nicht mehr nur ums TUN dieser neuen Aufgaben. Sondern es ging viel mehr um mein SEIN als Scrum Master. 

Wie möchte ich als Scrum Master SEIN? 

Ich arbeite mit meinem Team nach Scrum. Wir versuchen es zumindest, so wie es die aktuellen Rahmenbedingungen eben zulassen. In Scrum gibt es fünf Werte, nach denen wir streben:

Offenheit
Respekt
Mut
Fokus
Selbstverpflichtung (oder auch Commitment)

Vom Tun ins Sein
Die 5 Werte in Scrum

Diese Werte sind sogar im Scrumguide verankert, quasi dem „Handbuch“ von Scrum, dem Handbuch aller Scrum Master. Das bedeutet nicht, dass diese Werte nur dann relevant sind, wenn man nach Scrum arbeitet. Sondern es zeigt meines Erachtens nur, welcher Stellenwert diesen Werten in Scrum eingeräumt wird. 

Das Leben dieser Werte definiert für mich mein SEIN. Ich sehe es als meine wichtigste und zugleich auch herausforderndste Aufgabe als Scrum Master an, diese Werte zu leben, sie vorzuleben und in der Organisation zu stärken. Das ist mein SEIN, nach dem ich mich in meiner Arbeit ständig ausrichten möchte. 

Das TUN sind die Methoden, Skills, die Techniken, die ich als Scrum Master einsetze. Das ist das, was andere als allererstes von mir als Scrum Master sehen. In Scrum bspw. die Meetings zu machen, Dailys, Retrospektiven. Diese Meetings kann ich jeden Tag machen. Aber dann sind sie nicht zwangsläufig gut. Wenn ich sie mit der richtigen Haltung durchführe, wenn ich die Werte dabei berücksichtige, erst durch mein SEIN wird aus meiner Sicht mein TUN vollständig.

Das TUN ist wichtig. Ohne dass wir etwas TUN, passiert nichts. Verändert sich nichts. Findet keine agile Transformation statt. Das TUN ist die Basis. TUN allein reicht aber nicht aus. WIE wir die Dinge TUN, wie wir SEIN wollen dabei, das ist für mich entscheidend.

Ich glaube, dass uns das konsequente Leben dieser Scrum-Werte helfen würde, dass jeder einen guten Job bei uns machen kann, dass es allen gut geht dabei und dass wir unsere Probleme leichter lösen könnten. Wenn wir mehr ins SEIN kommen.  

Ich möchte mehr vom TUN ins SEIN kommen.
Ich möchte, dass wir alle mehr vom TUN ins SEIN kommen. 

Vom TUN ins SEIN.

Ich möchte gerne drei von den genannten Werten herauspicken, weil sie mir im Umgang miteinander so elementar erscheinen: Offenheit, Respekt und Mut. 

Wie könnte es sein, wenn wir diese Werte stärker leben als heute? Wenn wir diesen Werten viel mehr Raum geben, als wir das heute TUN? Wenn wir sie ganz in unser TUN integrieren?

Wie könnte es sein, wenn wir alle wirklich offen miteinander umgehen würden?

Ich glaube, dann könnte jeder von uns offen seine Wahrheit aussprechen, ganz ohne Angst, dass das irgendwann mal ein Nachteil sein könnte. 

Jeder von uns könnte so sein, wie er oder sie wirklich ist, ohne sich hinter einer professionellen Maske verstecken zu müssen. 

Und auch wenn es mal unangenehm ist, weil eben nicht immer alles rund läuft, könnte jeder offen darüber reden, Fehler müssten nicht vertuscht werden. 

Unsere Zusammenarbeit würde viel stärker auf Vertrauen basieren. Transparenz wäre normal und wir wären daher in der Lage, schneller zu reagieren, wenn etwas mal nicht so läuft, wie es soll. 

Offenheit ist erforderlich, damit wir uns gerade in einem professionellen Umfeld trauen, Fehler zu machen, sie einzugestehen und uns selbst als fehlbar zu zeigen, ohne Nachteile befürchten zu müssen. 

Echte Kreativität, echte Innovationen sind meiner Meinung nach nur dann möglich, wenn Fehler explizit erlaubt sind, wenn ohne Tabus frei und offen gedacht werden darf, wenn „wilde“ Ideen nicht frühzeitig wieder ausgebremst werden. Offenheit lässt Lernen zu. 

Heute sind wir noch nicht dort. Ich höre zwar durchaus öfter, dass wir doch schon sehr offen miteinander umgehen. Dass diese Werte doch zu einer guten Kinderstube gehören. Aber mich überzeugt das nicht. 

Wir verwenden unsere Energie meiner Meinung nach viel zu stark darauf, immer alles richtig zu machen, bloß keine Fehler zu machen. Oder zumindest zu vermeiden, dass es jemand bemerkt.

Wir investieren unsere Zeit in Meetings, die wir schon immer so gemacht haben, egal für wie schlecht und überflüssig wir sie halten – wir gehen trotzdem hin, verschanzen uns hinter unserem Laptop, nutzen die Zeit, um parallel Mails zu schreiben und hören nur mit halbem Ohr zu. Wäre es nicht wirkungsvoller, wir würden nicht zu diesem Meeting gehen und auch sagen warum? 

Oder das Meeting so gestalten, dass es allen nutzt? Heute tun wir Dinge, die wir nicht gut finden und hinter denen wir nicht unbedingt stehen. Wir machen sie trotzdem, weil sie bspw. von einer Führungskraft so vorgegeben wurden und wir nicht offen widersprechen möchten. Weil wir disziplinarische Konsequenzen fürchten. 

Offenheit gegenüber Veränderungen bedeutet bei uns meiner Meinung nach zu oft einfach nur, Altbekanntes mehr, öfter oder stärker zu machen. Noch mehr Meetings, noch häufigere Statusberichte, noch stärkeres Controlling. Aber keine wirklichen Innovationen, indem wir mal etwas ganz anderes machen. 

Vom TUN ins SEIN.

Wie könnte es sein, wenn wir alle wirklich respektvoll miteinander umgehen würden? 

Ich glaube, dann würden wir alle davon ausgehen, dass jeder hier so wie er oder sie kann stets das Beste gibt. Wir würden Aussagen anderer nicht mehr so schnell negativ interpretieren. 

Wir wären der festen Überzeugung, keiner hier will uns etwas Schlechtes oder tut etwas, um genau uns damit zu schaden. 

Wir würden jeden hier so anerkennen wie er ist anstatt uns damit zu beschäftigen, was er oder sie alles falsch macht. 

Wir würden es nicht mehr so leicht persönlich nehmen, wenn jemand mal etwas Ungeschicktes sagt oder macht. 

Statt andere zu kritisieren – und das am Besten noch hinter vorgehaltener Hand – würden wir uns eher darüber unterhalten, was wir vom anderen bräuchten. 

Oder fragen, wie wir helfen können. Wir würden so viel Energie für tolle Dinge freisetzen, weil wir uns nicht mehr über „die anderen“ aufregen müssten. 

Heute sind wir noch nicht dort. Nach Außen hin scheint es manchmal so. Aber wir reden durchaus schlecht über andere, wenn sie nicht da sind. 

Wir haben z.T. keine hohe Meinung über unsere Kolleginnen und Kollegen. Wir gehen zu oft davon aus, dass uns der andere Böses will. Und reagieren oftmals sogar schon so, als wäre es eine Tatsache, dass uns der andere Böses will. 

„Diese Werte unterschreib ich blind“ sagte mal ein Kollege zu mir. Und regte sich kaum einen Tag später über den „bescheuerten Kollegen auf, der einfach zu blöd ist, seinen Job zu machen“. 

Vom TUN ins SEIN.

Wie könnte es sein, wenn wir alle wirklich mutig wären? 

Ich glaube, eine der wichtigsten Eigenschaften in einer Transformation ist Mut. Veränderung braucht Mut. Werte zu leben braucht Mut. 

Wie könnte es sein, wenn wir mutig genug wären, den Status Quo zu verändern? Wenn wir wirklich alle etwas mutiger wären, könnten wir echte Veränderungen in der Organisation bewirken. 

Wir könnten Dinge wirklich mal anders machen, neu gestalten. Wir würden uns trauen, Fehler zu machen und diese auch offen anzusprechen. Wir könnten alle daraus lernen und als Organisation dadurch wachsen. 

Jeder wäre mutig genug, auch mal eine andere Meinung zu vertreten und wir würden uns vielleicht sogar gegenseitig darin bestärken, dies zu tun. Wir könnten das Verständnis entwickeln, dass durch Veränderung niemandem etwas weggenommen wird, weil wir in Summe stärker würden. 

Heute sind wir noch nicht dort. Wir schönen Statusberichte ans Management, weil wir keine unangenehmen Wahrheiten überbringen möchten. 

Wenn wir den Termin nicht halten können, reduzieren wir lieber die Qualität der Ergebnisse, in der Hoffnung, dass es nicht auffällt. Wir akzeptieren schlechte Entscheidungen, statt mutig eine andere Sicht zu vertreten. 

Einzelne tun das. Aber da sie Einzelne sind, gehen sie unter in der Masse oder gelten als Störenfriede und Bedenkenträger. Und erleben dadurch ggf. sogar Nachteile in ihrem Job. 

Vom TUN ins SEIN.
Wie kommen wir vom TUN ins SEIN?

Ein Scrum Master hat das Leben dieser Werte quasi in seiner Jobbeschreibung. Das ist natürlich noch lange keine Garantie, dass sie auch gelebt werden. Und auf keinen Fall hat er damit das alleinige „Anrecht“, diese Werte zu leben – im Gegenteil. 

Bei mir hat meine Tätigkeit als Scrum Master ein Umdenken ausgelöst. Ein Umdenken dahingehend, wie viel wichtiger mir heute das SEIN ist. Wie viel wichtiger mir die Werte geworden sind und dass ich sie stärker in meinen Fokus rücken will. Auch wenn ich es bei weitem noch nicht schaffe, sie immer hochzuhalten, immer offen, respektvoll und mutig zu sein, weiß ich, dass mir das heute sehr viel besser gelingt als noch vor 2,5 Jahren. Vor 2,5 Jahren hätte ich auch nie gedacht, dass ich heute hier stehe und einen Talk über Werte halte.

Das beständige Arbeiten an mir selbst, das Verändern wollen, das Wachsen wollen, Inspirieren und Überzeugen können – darauf kommt es mir heute an. Dafür möchte ich mich einbringen und dazu beitragen, dass wir alle einen guten Job machen können. 

Dafür brauchen wir viel mehr Offenheit, Respekt und Mut und dafür möchte ich mit meinem SEIN stehen. Für mich ist damit der Job des Scrum Master ein sehr anspruchsvoller Job – und gleichzeitig ein ziemlich toller. 

Und zur Frage meines Kollegen? Ich glaube absolut nicht, dass ein Projektleiter überqualifiziert ist für die Rolle des Scrum Master. Aus meiner Sicht sagen seine Fähigkeiten als Projektleiter überhaupt nichts darüber aus, ob der Job des Scrum Master der richtige für ihn ist. 

Ich bin aber fest davon überzeugt, dass die Rolle so wichtig ist in einer agilen Transformation und dass wir viel mehr Leute brauchen, die daran mitgestalten wollen. Ganz egal, ob als Scrum Master oder in einer anderen Rolle. 

Der Change erfordert so viel Offenheit, Respekt und Mut von uns. Für mich liegt die eigentliche Herausforderung dabei nicht im TUN, sondern im SEIN. 

Mein Wunsch ist es, dass ihr euch alle heute Abend einen kleinen Moment Zeit nehmt zu überlegen, welche Werte für euch wichtig sind und wie ihr diese ganz konkret nutzen könnt, um ab morgen mehr vom TUN ins SEIN zu kommen. 

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