Kann eine Führungskraft Coach sein?

Wie schon in meinem letzten Blogbeitrag erwähnt, fand auf dem Coach Camp Köln unter anderem eine Session zum Thema „Führungskraft = Coach“ statt. Diese und auch meine eigene Session „Coaching durch Führungskräfte“ sowie verschiedene Kommentare auf Twitter, die das Coachen durch Führungskräfte als großen Fehler ansehen, haben mich dazu veranlasst, zu diesem Thema einen Blogbeitrag zu schreiben. In diesem möchte ich meine Gedanken zu dem Thema zusammenfassen und gerne mit euch teilen.

Warum kommt es überhaupt zu dieser Diskussion?

Gerade im agilen Kontext und insbesondere in Großkonzernen wird Coaching von Führungskräften heutzutage oft erwartet. Es ist ein Thema, das Führungskräfte in meiner Wahrnehmung relativ unvermittelt in ihrer Jobbeschreibung wiederfinden, ohne unbedingt genauer zu wissen, was das eigentlich genau heißt. Von daher ist es denke ich sinnvoll, darüber zu reden, was in diesem Zusammenhang funktioniert – und was ggf. auch nicht.

Ich möchte gerne auf zwei Argumente eingehen, die in der Diskussion immer wieder auftauchen:

      • Eine Führungskraft ist nicht als Coach ausgebildet.
      • Eine Führungskraft kann nicht neutral und absichtslos sein.

Eine Führungskraft ist nicht als Coach ausgebildet.

Mir ist Qualität beim Coachen wichtig und ich bin unbedingt der Meinung, dass nicht jeder „einfach so rumcoachen“ sollte, nur weil es Spaß macht oder weil es jemand als Aufgabe vorgegeben hat. Was bedeutet dabei Qualität für mich? Zum einen sind da die entsprechenden Tools und Methoden zu lernen. Ich glaube, dass das grundsätzlich jeder kann, der sich intensiv (bspw. mit Hilfe von Trainings) damit beschäftigt. Zum anderen – für mich der noch viel wesentlichere Aspekt – kommt es im Coaching auf die Haltung an, die auf einem positiven Menschenbild basiert und die Fähigkeit zur echten Empathie voraussetzt. Hier gibt es sicherlich verschiedenste Möglichkeiten, eine solche Haltung zu entwickeln und sicherlich ist sie nicht nur Coaches vorbehalten. Wichtig ist aber, dass sich jeder intensiv damit auseinander setzt, sich Zeit für regelmäßige (Selbst-)Reflexion nimmt und in die eigene persönliche Weiterentwicklung investiert.

Als Coach braucht man eine fundierte Ausbildung. Dass eine Führungskraft nicht coachen kann, weil sie keine solche Ausbildung hat und erst mehrere Jahre Coaching lernen muss, möchte ich so hart allerdings trotzdem nicht stehen lassen. Ganz sicher kann sie es nicht einfach so, ohne dass sie sich in irgendeiner Form intensiver mit dem Thema beschäftigt. Die Argumentation allein, dass man ausgebildet sein muss, wäre mir dennoch zu schwach. Und umgekehrt machen mich eine Ausbildung selbst und ein Zertifikat allein noch längst nicht zum guten Coach. In jedem Fall bedarf es viel Übung in einem geschütztem Raum und die Entwicklung einer entsprechenden Coachinghaltung wie ich es in meiner cck2020-Session und meinem Blogbeitrag zu Supervision vorgestellt bzw. wie es auch die bereits verlinkte Studie aus dem Artikel Most Manager don’t know how to coach. But they can learn. ergeben hatte.

Eine Führungskraft kann nicht neutral und absichtslos sein.

Werfen wir mal einen Blick darauf, was es eigentlich bedeutet, Coach zu sein. Ich habe sowohl in meiner Ausbildung gelernt als auch in der Praxis die Erfahrung gemacht, dass ein Coach neutral gegenüber seinem Coachee sein muss und dass Coachen absichtsloses Interesse des Coach voraussetzt. Coachen erlaubt kein Machtgefälle zwischen dem, der coacht und demjenigen, der gecoacht wird. Der Coachee sucht sich seinen Coach möglichst selbst aus, denn Coachen basiert auf Freiwilligkeit – ich kann nicht coachen ohne Auftrag des Coachee. Seine Bereitschaft muss da sein, sich auf diesen Prozess einzulassen. Dies gilt natürlich auch, wenn Führungskräfte in einem Unternehmen als Coach tätig sind. Aber selbst wenn der Mitarbeiter einverstanden ist, dass die eigene Führungskraft ihn/sie coacht, bleiben dennoch die unterschiedlichen Hierarchiestufen ein potenzielles Hindernis, das zu einem Zielkonflikt führen kann. Kann es funktionieren, dass eine Führungskraft ihre Mitarbeiter im einen Moment völlig absichtslos coacht und sich diese ihr gegenüber sehr vertrauensvoll äußern, und im nächsten Moment sprechen sie über Bewertungen und Gehalt? Was ist, wenn eine Führungskraft Zielvorgaben beachten muss, die ggf. mit dem im Coaching vereinbarten Vorgehen kollidieren? 

Meines Erachtens kann eine Führungskraft aufgrund des möglichen Interessenskonflikts nicht Coach im klassischen Sinne sein, denn hier sind ein paar wesentliche Voraussetzungen per definitionem nicht erfüllt – und in dieser Konstellation auch nicht ohne weiteres erfüllbar.

Nun könnte ich meine Überlegungen an dieser Stelle ja eigentlich schon beenden, da damit die Eingangsfrage beantwortet ist. Ich möchte aber doch noch ein paar Überlegungen ergänzen. Selbst wenn eine Führungskraft nicht Coach sein kann, heißt das auch, sie kann nicht coachen? Kann sie vielleicht zumindest in Teilen Elemente von Coaching in ihre Arbeit integrieren?

Vielleicht ist die Führungskraft nicht Coach. Aber kann sie deswegen gar nicht coachen?

Wenn die Rede davon ist, dass Führungskräfte coachen sollen, ist damit meiner Meinung nach nicht zwangsläufig gemeint, dass sie Coach im klassischen Sinne sind. Denn aus vorgenanntem Grund können sie das denke ich wirklich nicht. Was aus meiner Sicht ebenfalls nicht funktioniert, ist coachen, ohne dass eine Führungskraft ihr eigenes Selbstverständnis als Führungskraft überdenkt und immer wieder anpasst. Hier sind auch Impulse zur regelmäßigen Selbstreflexion wesentliche Voraussetzung.

Eine fördernde und motivierende Führungspraxis mit unterstützenden Coachingfähigkeiten und den Einsatz geeigneter Coachingmethoden halte ich aber durchaus für möglich. Ich glaube auf jeden Fall, dass sich Führungskräfte Coachingfähigkeiten und eine angemessene Coachinghaltung aneignen können.

Als Grundlage gilt es, ein wirklich positives Menschenbild zu entwickeln. Hier ist so viel Raum für Führungskräfte und jede/r, die/der sich intensiver damit auseinander setzt, wird einen Beitrag zu einer konstruktiveren, respektvolleren und wertschätzenderen Unternehmenskultur leisten.

Eine Führungskraft kann ihre Coachingfähigkeiten stärken.

Ja, es gibt einen Widerspruch zu meinem eigenen Coachingverständnis, da eine Führungskraft meiner Meinung nach nicht vollkommen absichtslos und neutral gegenüber ihren Mitarbeitern sein kann. Ich sehe die Führungskraft auch nicht im klassischen Sinne als Coach. Dennoch glaube ich, dass sie Coachingelemente in ihre Mitarbeiterführung integrieren kann – und auch sollte. Ich bin unbedingt davon überzeugt, dass jeder sich an einer Coachinghaltung orientieren und daran arbeiten kann, im Gespräch dem Mitarbeiter voll und ganz zuzuhören, mit wirklich guten Fragen zu führen, echte Empathie gegenüber anderen zu zeigen, konstruktives Feedback zu geben und ein förderndes Klima zu schaffen. Ich glaube nicht, dass das am Ende nachteilig für die Mitarbeiter und die Unternehmenskultur sein kann. Ich zumindest möchte niemanden davon abhalten.

Hilfreich wäre es möglicherweise auch, wenn wir es schaffen, an der einen oder anderen Stelle den vermeintlich notwendigen Spagat aufzulösen: Muss eine Führungskraft bspw. über die Gehaltsverteilung entscheiden? Nein, das kann auch das Team. Und schon ist die Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeitern wieder etwas freier.

Das Bild der Führungskraft verändert sich gerade sehr – und so kam ja auch überhaupt das Thema Coach ins Spiel. Wir sprechen gar nicht mehr unbedingt von klassischer Führung. Stattdessen ist die Rede von Agile Leadership. Ich verstehe darunter die Fähigkeit einer Führungskraft, Mitarbeiter zu stärken und dienend in ihrem Tun und in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Agile Leadership heißt nicht nur, dass ich empathischer und verständnisvoller bin und meine Mitarbeiter empowere, sondern meiner Meinung nach geht es darum, Führung ganz neu zu denken und Maßstäbe neu zu setzen. Agile Leadership bedeutet etwas völlig anderes als klassische Führung. Wenn wir das konsequent zu Ende denken, wäre zumindest in einer idealen Welt die Situation zwischen Führungskraft und Mitarbeiter künftig wirklich eine andere. Und irgendwann ist eine Führungskraft dann möglicherweise wirklich Coach.

Mir ist natürlich klar, dass wir da heute noch nicht sind. Ich möchte aber gerne daran glauben, dass das eines Tages möglich sein wird.

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