Für unsere letzte Campus Session Time hatte ich den hier bereits verlinkten Artikel aus der Harvard Business Review Most Managers don’t know how to coach people. But they can learn! zum Anlass genommen, eine Session rund um dieses Thema zu halten.*
Ziel dieser Session war es, zum einen den Inhalt des Artikels und die darin beschriebene Studie vorzustellen und zum anderen ein paar Gedanken und Ideen, auf die mich dieser Artikel gebracht hatte, mit den Teilnehmern zu teilen. Da die Session insgesamt auf reges Interesse gestoßen war, wollte ich sie hier noch einmal für euch zusammenfassen. Auch wenn dieser Blogbeitrag ein paar Punkte aus dem Supervisions-Beitrag wiederholt, hoffe ich, dass ich euch trotzdem noch den einen oder anderen neuen Impuls mitgeben kann. Und auch wenn im Artikel nur von Managern die Rede ist, glaube ich, dass sich hiervon durchaus auch andere Zielgruppen angesprochen fühlen dürfen, bspw. Scrum Master und Agile Coaches.
Worum geht es in dem genannten Artikel?
Zunächst bin ich in der Session auf den Inhalt des Artikels eingegangen und habe diesen kurz vorgestellt. Darin ging es um das Thema Coaching im Führungskräftekontext, das insbesondere für diesen Personenkreis immer mehr an Bedeutung gewinnt. Nach Einschätzung der Autoren sagen Führungskräfte oft, sie könnten coachen, wenn man sie danach fragt. Tatsächlich sind sie aber nicht gut ausgestattet und somit nicht ausreichend in der Lage, diese Frage überhaupt zu beantworten. Warum ist das so? Manager meinen häufig, sie coachen. In der Regel sagen sie ihren Mitarbeitern aber eher, was sie tun sollen.
Der Artikel liefert auch eine Definition von Coaching nach Sir John Whitmore, einem führenden Experten im Bereich des Executive Coachings:
„Coaching is unlocking a person’s potential to maximize their own performance. It is helping them to learn rather than teaching them.“
Die Autoren schreiben über eine – zum damaligen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossene – Studie im Zusammenhang mit Coachingfähigkeiten von Managern. Die Autoren wollten mit dieser Studie darstellen, dass die meisten Manager nicht verstehen, was Coaching wirklich ist. Aber nicht, um Manager zu bashen, sondern um damit auch Wege aufzuzeigen, wie man diesen Mangel lösen könnte.
Der Fokus der Studie lag dabei auf der Frage, wie man jemanden trainieren kann, damit er/sie besser coachen lernt. Die gute Nachricht dabei: Manager können ihre Coachingfähigkeiten schon in relativ kurzer Zeit – ca. 15 Stunden – verbessern. Aber sie müssen Zeit investieren, um zu lernen, was Coaching wirklich ist und wie es geht.
Die Durchführung der Studie lief folgendermaßen:
- Ein Teil einer Gruppe sollte andere Personen zum Thema Zeitmanagement coachen, ohne dass es dazu weitere Erläuterungen gab.
- Die Gespräche dauerten ca. 5 Minuten und wurden per Video aufgenommen.
- Diese Videos wurden später durch andere Teilnehmer der Gruppe im Rahmen von Peer Reviews ausgewertet.
- Außerdem bewerteten 18 Coaches/Experten diese Gespräche.
- Die Teilnehmer bekamen anschließend ein Face-to-Face-Training, anschließend wurden die Gesprächsrunden inklusive der Videoaufnahmen wiederholt und erneut sowohl durch die Peers als auch die Experten bewertet.
Folgende Erkenntnisse wurden laut Artikel daraus gewonnen:
- Viele Manager zeigten beim 1. Coaching beratendes Verhalten. Sie gaben Ratschläge oder Lösungen vor („Zuerst machst du das hier….“, „Warum machst du nicht ….“)
- Dieses Vorgehen wurde von den anderen Teilnehmern zunächst als gute Coachingpraxis angesehen. Die Peers bewerteten die ersten Gespräche besser als die Experten.
Die Auswertung der Studie fokussierte sich auf die folgenden 9 Leadership Coaching Skills:
- Zuhören
- Fragen
- Feedback geben
- mit Zielsetzungen unterstützen
- Empathie zeigen
- den Coachee auf eigene Lösungen kommen lassen
- Stärken erkennen und aufzeigen
- Struktur geben
- lösungsfokussierten Ansatz fördern
Die Auswertung ergab, dass „Zuhören“ der bestbewertete Skill vor dem Training war, am schlechtesten war vor dem Training „Stärken erkennen und aufzeigen“ sowie „Coachee auf eigene Lösungen kommen lassen“ und die Fähigkeit, die sich durch das Training am meisten verbessert hatte, war „Coachee auf eigene Lösungen kommen lassen“. Insgesamt hatten sich die Coachingfähigkeiten der Teilnehmer über alle 9 Leadership Coaching Fähigkeiten hinweg schon nach sehr kurzem Training durchschnittlich um 40,2% verbessert.
Das Fazit der Autoren war am Ende, dass Coaching eine Fähigkeit ist, die gelernt, training und weiter intensiviert werden muss. Schon wenig Training kann laut der Studie bereits positive Effekte erzielen, während ein Mangel an Training in Verhalten resultiert, dass schwache Coachingpraktiken verstärkt und damit letztlich eine Verschwendung von Zeit, Geld und Energie darstellt.
Als konkretes Learning für Organisationen gaben die Autoren die folgenden Hinweise:
- Zunächst einmal ist klar zu definieren, was Coaching heißt und wie es sich von anderen Managementpraktiken unterscheidet. Das ist die Grundlage für das Training und gibt eine klare Erwartungshaltung mit.
- Manager müssen ihre Coachingfähigkeiten in sicherer Umgebung üben können. Man muss dafür nicht zwingend Monate in Training dieser Fähigkeiten investieren. Man muss aber in Training investieren. Wenn man sich auf die richtigen Fähigkeiten fokussiert, kann schon wenig Übung die Coachingfähigkeiten der Teilnehmer verbessern.
- Es muss ausreichend Reflexionszeit beinhaltet sein. In der Studie bewerteten die Teilnehmer ihre Fähigkeiten 3x: vorher, zwischendrin im Anschluss an das Training und danach im Rückblick. Je mehr Wissen und Training Manager haben, desto besser ist die eigene Selbsteinschätzung ihrer Coachingskills.
- Außerdem ist Feedback durch Coachingexperten notwendig. Ansonsten besteht das Risiko, dass sich ungewünschte Effekte und unerwünschtes Verhalten in der gesamten Organisation einschleichen.
So viel zum Artikel. Welche Gedanken habe ich mir gemacht?
Ich wollte in der Session nicht auf die Frage eingehen, ob Führungskräfte Coach sein können oder nicht. Mir ging es erst einmal um die Überlegung, wie Führungskräfte ihre Coachingskills verbessern können. Dabei hatte ich mich an den 9 in der Studie genannten Leadership Coaching Skills orientiert, da ich glaube, dass diese durchaus wertvolle Eigenschaften einer Führungskraft darstellen und eine Verbesserung dieser Eigenschaften – unabhängig von der Coach-Frage – ganz sicher zu einer konstruktiveren Kultur im Unternehmen führt.
Ich hatte mir nun für meine Session überlegt, wie sich Manager (oder andere Interessierte) diesem Thema nähern könnten und welche Schritte dabei möglicherweise helfen. Dabei bin ich auf die folgenden – sicherlich nicht vollständigen – 4 Punkte gekommen:
1. Selbstreflexion:
Dieser Punkt mag banal klingen, ich finde ihn aber elementar wichtig, wenn ich mich ernsthaft mit meinen eigenen Coachingfähigkeiten auseinandersetzen möchte. Aus meiner Sicht sollte sich jeder/jede in dem Zusammenhang erst einmal die folgenden Fragen stellen: Brauche ich das? Was möchte ich damit erreichen? Will ich etwas verändern? Bin ich bereit zu lernen und in mein eigenes persönliches Wachstum zu investieren? Ich glaube, wenn diese Fragen nicht wirklich ehrlich positiv beantwortet werden können, ist echte Entwicklung kaum möglich.
2. Selbsteinschätzung der eigenen Coachingskills:
Dieser Punkt setzt auf dem vorherigen auf, denn auch hier geht es letztlich um regelmäßige Reflexion des eigenen Verhaltens, ohne dass meiner Meinung nach persönliches Wachstum und Entwicklung nicht möglich sind. Es geht um die Frage, wo sich jeder selbst gerade sieht bezogen auf die genannten Leadership Coaching Skills. Man könnte sich bspw. für die verschiedenen Coachingsfähigkeiten jeweils eine Skala von „1 – nicht vorhanden“ bis „10 – ich bin Profi darin“ aufmalen und darin die eigene Einschätzung dieser Skills eintragen. Unterstützende Fragen könnten dabei sein:
Wo sehe ich mich selbst je Skill auf dieser Skala?
Bei welchen Leadership Coaching Skills sehe ich meine Stärken?
Wo sehe ich noch Entwicklungspotenzial?
Wohin möchte ich mich konkret verbessern?
Was könnte mein nächster Schritt dazu sein?
Was sagen ggf. Kolleginnen/Kollegen, die mich einschätzen können und mir auch ehrlich Feedback geben?
Wo kann ich Peer Reviews nutzen?
3. Leadership Coaching Skills stärken:
Aus dem, was bei der Selbstreflexion und der Selbsteinschätzung herausgearbeitet wurde, ergeben sich die möglichen Entwicklungsfelder. Auch hier finde ich es ausgesprochen wichtig, die einzelnen Coaching Skills nicht vorschnell als trivial abzutun. Schauen wir uns mal ein paar davon exemplarisch an:
Leadership Coaching Skill „Zuhören“
Vielleicht denkt ihr jetzt „Na klar, kann ich zuhören – schließlich hab ich doch zwei Ohren!“ Vielleicht könnt ihr euch aber auch schon denken, dass gerade das echte, aufmerksame Zuhören gar nicht immer so leicht ist. In ihrem Buch Coaching Agile Teams schreibt Lyssa Adkins von 3 Leveln des Zuhörens.
- Level 1 – internal listening
Diese Form des ganz „normale“ Zuhörens findet bspw. im Rahmen einer Unterhaltung statt: Eine Person hört einer anderen Person beim Reden zu – und das durchaus auch sehr aufmerksam -, bleibt dabei aber ganz bei sich, hat die eigenen Themen im Kopf und filtert und interpretiert alles Gehörte durch die eigene Wahrnehmung. - Level 2 -focused listening
Bei diesem Level des Zuhörens ist die Verbindung zwischen dem Redner und dem Zuhörer schon deutlich stärker. Der Zuhörer versucht, die Aussagen des Redners aus dessen Perspektive zu verstehen und ist dabei voll auf den Redner fokussiert. So ist er in der Lage, die Stimmung des Redners wahrzunehmen. - Level 3 – global listening
Hierfür nutzt der Zuhörer all seine Sinne, bezieht die komplette Umgebung mit ein und versucht, sich vollumfänglich auf den Redner einzustimmen. Wie ist die Stimmlage des Redners, seine Haltung, wie ist die Raumtemperatur, welche Umgebungsgeräusche sind zu hören … seine Antennen sind voll auf die Situation des Redners ausgerichtet, so dass er so viel wie möglich wahrnehmen kann, um ein möglichst tiefes Verständnis für die Aussagen des Redners zu bekommen.
- Level 1 – internal listening
Ich denke, es ist nachvollziehbar, dass wir zum Coachen das Level 3 anstreben sollten.
Leadership Coaching Skill „Fragen“
Auch Fragen stellen scheint so einfach. Aber habt ihr euch schon mal wirklich intensiv mit möglichen Fragen auseinandergesetzt, die weit über die klassischen W-Fragen hinausgehen? Wie kann ich die so wichtige Frage nach dem Warum stellen, ohne dass sich der andere sofort zur Rechtfertigung genötigt sieht, sondern stattdessen um zu Lernen voller Offenheit und Neugier den echten Ursachen eines Problems auf den Grund gehen kann? Welche Fragen kann ich stellen, um bspw. den Lösungsraum für wirklich innovatives Denken zu erweitern? Mit welchen Fragen kann ich verschüttete Ressourcen meines Gesprächspartners zum Vorschein bringen? Um gut coachen zu können, sollte ich immer gute und geeignete Fragen parat haben.
Leadership Coaching Skill „Empathie“
Natürlich bin ich empathisch! Wer würde je das Gegenteil behaupten? Dachte ich zumindest, bis ich das Buch Gewaltfreie Kommunikation von Marshall B. Rosenberg und darin das Kapitel „Empathisch aufnehmen“ gelesen hatte. Darin beschreibt der Autor genauer, was Empathie eigentlich bedeutet. Empathie heißt nicht, nett, gefällig und freundlich zu sein.
Empathie heißt, den Verstand leer machen und mit dem ganzen Wesen zuhören.
Wenn uns jemand etwas erzählt, geben wir in der Regel aber eher Ratschläge oder beruhigen den anderen, weil doch alles gar nicht so schlimm ist. Wir teilen unsere Meinung mit und äußern, was wir von dem Erzählten halten. Stattdessen wäre es empathisch, den anderen zu fragen, was er gerade braucht und ihm dann die nötige Aufmerksamkeit und den erforderlichen Raum zu geben, seine Sicht voll und ganz zum Ausdruck zu bringen. Der Autor beschreibt das schön an dem Beispiel seiner Tochter, die morgens vor dem Spiegel steht und sich beklagt, sie sei so häßlich. Der Vater beschwichtigt sie und sagt ihr, dass sie das wunderbarste Geschöpf auf Gottes Erdboden sei. Was bei der Tochter nicht zur erhofften Reaktion führt – sie fühlt sich völlig unverstanden von ihrem Vater. Mir fiel dazu selbst eine kleine Geschichte aus meiner Studienzeit ein. Eine Freundin erzählte mir von einer ähnlichen Situation, wie sie vor dem Spiegel stand und sich negativ über ihr Aussehen äußerte. Ihr Freund meinte daraufhin – und das ganz sicher in völlig guter und wohlmeinender Absicht: „Schatz, du siehst doch aus wie immer!“ Nur war diese Antwort leider nicht hilfreich und in der Situation eben nicht empathisch, weil sich die Freundin eine andere Reaktion gewünscht hätte.
Ich könnte zu diesem Thema noch einiges mehr schreiben, aber ich denke, meine Botschaft kommt rüber. Für ein besseres Coachingverständnis ist es wichtig, sich wirklich intensiv mit diesen Fähigkeiten zu beschäftigen. Dabei kann es helfen, sich fokussiert mit einem Thema nach dem anderen auseinander zu setzen und sich kleine Routinen zu überlegen, wie man das jeden Tag ein bisschen üben und verbessern kann. So könnte man sich bspw. mal für die nächsten 30 Tage vornehmen, jeden Tag mindestens ein Gespräch zu führen, indem der Fokus klar auf dem Level3-Zuhören liegt – und im Nachgang auch reflektieren, wie erfolgreich das Gespräch diesbezüglich gelaufen ist.
4. Supervisionsgruppen gründen
Hierüber hatte ich bereits in dem zugehörigen Artikel zum Thema Supervision im Coaching geschrieben, den ich hier der Einfachheit halber verlinken möchte.
Zum Abschluss meiner Session habe ich die Teilnehmer dazu eingeladen, sich ein mögliches Ziel zu überlegen, daraus auch gleich einen ganz konkreten nächsten Schritt abzuleiten und diesen dann für sich selbst auf eine Karte zu schreiben. Ich hoffe natürlich, dass sich hieraus viele weitere nächste Schritte ergeben und wir so nach und nach einen positiven Effekt in der Organisation haben werden.
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* Am 1. Tag des heute und morgen stattfindenden Coach Camp Köln #cck2020 habe ich diese Session noch einmal wiederholt, da ich glaube, dass hier ein Bedarf an Coachingexpertise besteht.
** Passend zum Thema möchte ich am Ende gerne noch auf einen Tweet von @elbblick hinweisen:
Neues Training zum Scrum Coach entwickelt. Im Grunde eine tiefere Scrum-Master-Ausbildung mit einem erhöhten Anteil an Coaching-Grundlagen.
Jetzt muss ich nur noch einen Weg finden, die Benefits rauszustellen, so dass sich jemand auf den Extratag einlässt …
— • Dr. Bøb zu Elbblick (@elbblick) 27. Januar 2020
Eine Antwort auf „Wie kommt man zu mehr Coachingskills?“
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