Agil – warum denn eigentlich?

Als ich anfing, mich mit agilem Arbeiten und dabei insbesondere mit Scrum zu beschäftigen, merkte ich in der Theorie recht bald, dass das nicht irgendein neues Thema ist, das mich gerade mal für eine Weile begeistert. Ich hatte ganz stark den Wunsch, selber auszuprobieren, was das in der Praxis bedeutet, weil ich mir einfach nicht so richtig vorstellen konnte, wie Scrum im Arbeitsalltag funktioniert. Warum es funktioniert. Ich wollte wissen, was daran eigentlich so faszinierend ist. Je mehr ich darüber las, je mehr ich davon hörte, desto größer wurde mein Interesse. Ich war zu dem Zeitpunkt als klassische IT-Projektleiterin in einem Großprojekt tätig und hatte das Gefühl, als Scrum Master könnte ich mich stärker auf die Themenbereiche fokussieren, die mir in meiner bisherigen Rolle Spaß machten – Menschen unterstützen und Probleme lösen – und dafür den Themenbereich reduzieren, der so gar nicht meins war – Controlling und umfangreiche Excelschlachten. Als ich die Möglichkeit bekam, mich zum Scrum Master zu entwickeln und eine neue Aufgabe zu übernehmen, habe ich ohne zu zögern ja gesagt. Dass es dabei natürlich um viel mehr geht, als Menschen zu unterstützen und Probleme zu beseitigen, ist mir im Laufe meiner neuen Tätigkeit schnell bewusst geworden :-).

Im Januar 2017 fing ich als Scrum Master an. Zunächst in einer Art agilem Ausbildungsprojekt, das als Inkubator für ein agiles Großprojekt dienen sollte und in dem wir auch Unterstützung durch agile Coaches hatten. Insgesamt empfand ich das als eine ausgesprochen komfortable Ausgangssituation. Agilität und Scrum in einer Art geschütztem Raum zu lernen und das mit Menschen, die so wie ich dabei mitwirken wollten, war schon eine ziemlich coole Sache.

Nun kann man ja viel darüber lesen, warum agiles Arbeiten gerade in Softwareprojekten heutzutage sinnvoll ist und was das Besondere am agilen Arbeiten ausmacht. Was aber hat mich persönlich davon überzeugt, dass meine Entscheidung genau die richtige war, diesen Weg zu gehen – so steinig er auch oft genug im Arbeitsalltag ist?

In meiner Anfangszeit als Scrum Master habe ich zwei Erfahrungen gemacht, die meine Meinung und Haltung sehr beeinflusst haben.

Meine erste wichtige Erfahrung war der Scrum zugrunde liegende Grundsatz von „Inspect & Adapt“. Dahinter steht für mich das Prinzip der permanenten Verbesserung. Während bei klassischen Projekten in der Regel am Ende einer langen Projektlaufzeit ein Lessons Learned erfolgt, basiert das Arbeiten nach Scrum auf einem kontinuierlichen Prozess, Dinge auszuprobieren, die Ergebnisse früh und regelmäßig zu prüfen (inspect) und im Anschluss direkt konkrete Maßnahmen zur Optimierung umzusetzen (adapt), wenn das Ziel noch nicht erreicht wurde. Dies gilt sowohl ganz konsequent in jedem Sprint in den Scrum-Events (z.B. in einer Retro), als auch ganz allgemein bei allem, was ich im Rahmen meiner Arbeit tue.

Dazu ein kleiner Auszug aus dem Scrum Guide:

Scrum basiert auf der Theorie empirischer Prozesssteuerung oder kurz „Empirie“. Empirie bedeutet, dass Wissen aus Erfahrung gewonnen wird und Entscheidungen auf Basis des Bekannten getroffen werden. Scrum verfolgt einen iterativen, inkrementellen Ansatz, um Prognosesicherheit zu optimieren und Risiken zu kontrollieren.

Drei Säulen tragen jede empirische Prozesssteuerung: Transparenz, Überprüfung [Inspection] und Anpassung [Adaptation].

In meinem vorherigen Job als Projektleiterin war mein Verständnis – und auch das all derer, mit denen ich zu tun hatte -, dass ich mehr oder weniger alles schon wissen muss, womit ich in meinem Projekt zu tun habe. Ich muss fit sein in meinem Arbeitsgebiet. Ich muss die richtigen Entscheidungen treffen. Ich muss langfristig planen. Ich muss wissen, wie der Job, die Arbeit, das Projekt funktionieren. Und wenn das eben doch mal nicht der Fall war, sollte das möglichst niemand bemerken. Ein Gedanke, den ich im Laufe meines Arbeitslebens zwar immer selbstverständlicher, aber deswegen nicht unbedingt weniger anstrengend, geschweige denn gut fand.

Mit dem Grundsatz von „Inspect & Adapt“ und das noch in Kombination mit besagtem Ausbildungsprojekt bekam Wissen und Lernen auf einmal eine ganz andere Bedeutung für mich: Ich musste auf einmal nicht mehr von vornherein wissen, wie es geht, sondern ich durfte lernen, ausprobieren, beobachten und Erfahrungen sammeln – und dann Stück für Stück immer besser werden in dem, was ich tue. Ich durfte es nicht nur, sondern ich hatte sogar ganz klar den Auftrag dazu. Ich fand diesen Gedanken unglaublich beruhigend und bin seitdem im Laufe der Zeit deutlich mutiger geworden, Neues auszuprobieren, auch wenn ich noch nicht weiß, wie es funktioniert. Dabei habe ich auch angefangen zu verstehen, welche Bedeutung gutes Feedback wirklich hat. Gutes Feedback hilft genau dabei, einfach mal anzufangen, auszuprobieren, anzupassen und zu verbessern.

Den Gedanken von Inspect & Adapt kann man meiner Meinung nach nicht oft genug betonen. Denn genauso wie bei mir selber, merke ich auch bei anderen, dass er den Einstieg in Neues erleichtern kann, dass er ermutigt, sich auf Unbekanntes einzulassen, sobald jeder verstanden hat, dass hierbei auch mal Dinge schief gehen können oder einfach nicht auf Anhieb perfekt laufen müssen. So wie wir auch als Kinder Laufen, Rad fahren, Lesen, Schreiben … gelernt haben. Da haben wir uns auch keine Gedanken darüber gemacht, dass etwas vielleicht nicht auf Anhieb klappt.

Seit 1,5 Jahren lerne ich wieder jeden Tag etwas Neues dazu. Scrum hat mir letztlich Mut gemacht, wieder viel öfter auszuprobieren und stetig zu verbessern, anstatt lange vorher in der Theorie zu überlegen, wie es wohl mit 100%iger Sicherheit funktionieren wird. Und das macht einen Heidenspaß, wenn man sich mit genau diesem Gedanken darauf einlässt. Denn Tatsache ist auch: Ob etwas wirklich funktioniert, weiß ich erst dann, wenn ich es ausprobiere, anstatt Zeit in theoretische Überlegungen zu investieren. Und nur so können neue Ideen entstehen, nur so können wir wirklich besser werden.

Meine zweite wichtige Erfahrung war das Erleben von Teamarbeit und das Gefühl, wirklich zu einem Team zu gehören. Damit meine ich nicht, Mitarbeiter einer Gruppe von Menschen zu sein, die irgendwie das Gleiche tun, den gleichen Vorgesetzten haben und einfach auf eine Art zusammengehören. In meiner Rolle als Projektleiter musste ich meine Probleme in der Regel alleine lösen. Ich kannte das Gefühl gut, mit den eigenen Problemen ziemlich auf mich allein gestellt zu sein. Genauso kam es vor, dass etwas schief lief und ich einfach froh war, wenn das Problem woanders lag, so dass ich mich nicht weiter damit beschäftigen musste. Selten habe ich mich dabei wirklich als Teil eines Teams gefühlt.

Scrum liegen die Werte Offenheit, Mut, Fokus, Respekt und Selbstverpflichtung zugrunde, sie sind die Basis für effizientes Arbeiten nach Scrum und haben damit eine hohe Relevanz. Teamdenken spielt in Scrum eine ganz wesentliche Rolle.

Hierzu zitiere ich noch einmal den Scrum Guide:

Wenn die Werte Selbstverpflichtung, Mut, Fokus, Offenheit und Respekt durch das Scrum-Team verkörpert und gelebt werden, werden die Scrum-Säulen Transparenz, Überprüfung und Anpassung lebendig und bauen bei allen Beteiligten Vertrauen zueinander auf. Die Mitglieder des Scrum-Teams lernen und erforschen diese Werte, indem sie mit den Scrum-Ereignissen, Rollen und Artefakten arbeiten.

Der erfolgreiche Einsatz von Scrum beruht darauf, dass alle Beteiligten kompetenter bei der Erfüllung dieser fünf Werte werden. Sie verpflichten sich persönlich dazu, die Ziele des Scrum-Teams zu erreichen. Die Mitglieder des Scrum-Teams haben den Mut, das Richtige zu tun und an schwierigen Problemen zu arbeiten. Jeder fokussiert sich auf die Arbeit im Sprint und die Ziele des Scrum-Teams. Das Scrum-Team und seine Stakeholder sind sich einig, offen mit allen Belangen ihrer Arbeit und den damit verbundenen Herausforderungen umzugehen. Mitglieder von Scrum-Teams respektieren sich gegenseitig als fähige, eigenverantwortliche Individuen.

Mit Scrum lernte ich echte Teamarbeit kennen, bei der sich im Team alle gegenseitig unterstützen, bei der alle zusammen auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten und Gleichgesinnte etwas bewegen wollen. In mir begann auf einmal der Gedanke zu wachsen, dass ich in einem aTeam eigentlich jedes Problem irgendwie lösen kann, schon weil es von vornherein einfach gar nicht mehr so unüberwindbar scheint. Ein tolles Gefühl!

Mit einem Team, das auch wirklich als Team funktioniert, bekommt man mehr gewuppt als allein. Ein Problem fühlt sich plötzlich nicht mehr so groß an, weil man es nicht alleine lösen muss, sondern Mitstreiter hat. Und wenn was schief geht, unterstützt man sich gegenseitig, die Fehler wieder zu richten. Wenn mal einer in die falsche Richtung rennt, ist ein anderer da, der denjenigen wieder einfängt. Das hat nichts mit verteilter Verantwortung(slosigkeit) zu tun, denn verantwortlich fühlt sich trotzdem jeder Einzelne. Aber man trägt die Verantwortung nicht allein auf den eigenen Schultern, sondern alle sorgen gemeinsam dafür, dass die Arbeit so gut wie möglich läuft. Und das passiert auch nicht einfach so von alleine, sondern bedeutet täglich gemeinsam Arbeit im Team und an der „Teamhygiene“. Es erfordert Mut, Offenheit und gegenseitigen Respekt.

Kürzlich sagte ein Kollege zu mir: „Früher habe ich viel öfter und regelmäßig Homeoffice gemacht. Heute bin ich lieber hier mit den anderen im Büro. Manchmal vergesse ich sogar völlig die Zeit, weil wir so in eine Aufgabe vertieft sind.“

Was für ein krasses Kompliment für das Team!

Das sind natürlich längst nicht alle Gründe, warum agiles Arbeiten toll ist und so viel Spaß macht, sondern nur meine zwei persönlichen Highlights aus den letzten 1,5 Jahren dabei. Ich werde hier in diesem Blog sicher noch öfter davon erzählen, was mich an agilem Arbeiten begeistert. Sowohl die Scrum-Werte als auch die Themen Team & Teambildung (und auch die Frage, was das Ganze eigentlich mit Kuchen zu tun hat) sind einen eigenen Blogbeitrag wert – auch dazu schreibe ich hier in den nächsten Wochen bestimmt noch ausführlicher :-).

Was sind eure Highlights und Erfahrungen beim agilen Arbeiten nach Scrum, was ist euer Motivator, auf diese Art zu arbeiten, was begeistert euch dabei? Ich freue mich über euer Feedback!

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