In der vergangenen Woche war ich drei Tage auf der Manage Agile 2020. In „Online-Berlin“ (der Grund für eine Online-Konferenz ist ausreichend bekannt). Mein ursprünglicher Plan sah natürlich anders aus. Da hätte ich Montagabend mit einem Kollegen den Zug Richtung Berlin genommen, wäre dort drei Tage lang über das Konferenzgelände gebummelt, hätte mir interessante Talks angehört, mit vielen verschiedenen Menschen gesprochen und wäre Donnerstagabend mit dem Kollegen und dem Zug wieder nach Hause gefahren.
Der Part mit dem Zug entfiel nun. Die anderen Aktivitäten fanden trotzdem statt, nur irgendwie anders als gedacht.
Wir hatten bereits zu Beginn des Jahres Tickets für die Konferenz gebucht. Irgendwann im Laufe des Jahres stellte sich dann die Frage: Online teilnehmen oder gar nicht? Für mich war die Antwort klar – auf jeden Fall lieber online als gar nicht.
Wie war die Konferenz, was sind meine Eindrücke? Auf die Inhalte der verschiedenen Sessions möchte ich gar nicht weiter eingehen, das könnt ihr alles auf der Website der Veranstaltung nachlesen. Es gab interessante Sessions, Denkanstöße gebende Sessions, kurzweilige Sessions, irritierende Sessions und natürlich gab es auch langweilige Sessions – ganz so wie es auf einer Konferenz oder einem BarCamp eben der Fall ist. Nicht alles interessiert mich, manches weiß ich schon, manchmal vielleicht sogar ein bisschen besser. Unabhängig davon erfüllt eine solche Konferenz für mich den Zweck, mich zum Nachdenken anzuregen, mich zu inspirieren und mir die Möglichkeit zu geben, mich mit anderen Menschen mit ähnlichen Interessen auszutauschen.
Diesmal möchte ich gerne mehr auf das ganze Drumherum eingehen, weil es in diesem Jahr eben so besonders war. Meine erste Online-Konferenz war direkt im März 2020 die Agile Cologne. Da war die Situation noch aufregend und neu, alle waren in irgendeiner Form damit beschäftigt, sich auf die veränderten Rahmenbedingungen einzustellen. Acht Monate später stellte ich – im Nachhinein – fest, dass das gar kein so großes Thema mehr war. Ja, in den Sessions tauchte natürlich das Wort Corona noch auf. Es fiel auch durchaus noch das eine oder andere Mal der Satz „Eine Konferenz, auf der alle vor Ort sind, wäre mir lieber.“ Aber nicht mehr in der Häufigkeit. Irgendwie schien das Setting normaler geworden zu sein. Selbstverständlicher.
Dazu hat neben den acht Monaten Zeit vielleicht auch Gathertown beigetragen. Ich kannte Gathertown noch nicht und war ziemlich begeistert davon. Wie abgefahren ist das bitte, dass man per Onlineanwendung und Avatar über den simulierten Konferenzcampus laufen und sich mittels Kamera und Mikro mit allen dort Anwesenden unterhalten kann? Am Stand der verschiedenen Anbieter, in Speakers Corner, in der Lounge oder in einer der Vortragshallen. Man sieht und hört immer nur die anderen Teilnehmer, die sich in unmittelbarer Nähe befinden – ganz wie im realen Leben. Damit kommt Gathertown dem Gefühl, mit anderen Menschen auf einer Veranstaltung zu sein, unverhofft zusammen zu treffen, zu reden, in verschiedene Räume gehen zu können, schon relativ nah.
Gathertown erinnerte mich an eine Idee, von der mir ein ehemaliger, leider bereits verstorbener Kollege vor einigen Jahren erzählt hatte. Er hatte die Idee, dass man sich virtuell in Räumen aufhalten und jeder – so wie im realen Leben – jederzeit in die verschiedenen Räume gehen und mit den dort anwesenden Personen reden könnte. Lieber R., schade, dass du das nicht mehr sehen kannst. Gathertown hätte dir bestimmt genauso gut gefallen wie mir.
In ihrer Keynote „… the one most responsive to change“ sprachen Dave Snowden und Andrea Tomasini darüber, dass wir die Verantwortung dafür tragen, aus der Krise zu lernen.* Ich glaube, dieser Talk hat mich am stärksten zum Nachdenken angeregt, da mich genau dieser Gedanke in letzter Zeit immer wieder beschäftigt. Ich möchte nicht mehr hören, dass online doof ist. Zum Glück war das auf der Konferenz auch kaum ein Thema. Ich möchte lieber die relevanten Fragen diskutieren, neue Ideen finden und ausprobieren, was davon funktioniert.
- Wie können neue Ideen aussehen, die in einer hybriden Welt funktionieren?
- Wie kreieren wir in der heutigen Zeit wirklichen Wert mit dem, was wir tun/verändern?
- Wie können wir unsere informellen Netzwerke in der Arbeitswelt, die unter den aktuellen Bedingungen leiden, wieder aufbauen und stärken?
Ich habe noch keine richtigen Antworten auf diese Fragen und würde mich daher freuen, wenn es hierzu viel mehr Austausch gäbe. Vielleicht habt ihr ja Ideen, vielleicht habt ihr schon etwas ausprobiert? Dann schreibt mir das sehr gerne in die Kommentare und lasst uns diskutieren.
Insbesondere die letzte Frage zu den informellen Netzwerken scheint mir immer wichtiger zu werden. Kann auch dafür etwas wie Gathertown eine Lösung sein? Wie können virtuelle Kaffeetheken so umgesetzt werden, dass sie ganz selbstverständlich genutzt werden? Ich glaube, dass eine Kamera zum Beleben unserer Netzwerke unerlässlich ist. Ohne Kamera fehlt direktes Feedback im Gespräch: Lacht der andere, schaut sie eher kritisch oder ernst? Persönlicher Kontakt leidet noch mehr, wenn ich während eines Gesprächs die ganze Zeit auf die Initialen meines Gesprächspartners starren muss, statt in sein Gesicht zu schauen. Nähe entsteht insbesondere dann, wenn ich den anderen Menschen sehen kann.
Eine spannende Erkenntnis war für mich, dass remote meine Hemmschwelle sinkt, fremde Menschen anzusprechen. Offensichtlich geht das nicht nur mir so, denn eine andere Teilnehmerin erzählte mir, dass sie eigentlich nie so aktiv auf andere Leute zugeht, sondern auf Konferenzen lieber am Rand steht und zusieht. In Gathertown und virtuell sei das irgendwie leichter, mit anderen ins Gespräch zu kommen.
Würde ich wieder auf eine Onlinekonferenz gehen? Auf jeden Fall! Finde ich Präsenzveranstaltungen besser? Ich kann die Frage gar nicht mehr so eindeutig mit ja beantworten. Und vielleicht ist das am Ende wieder einmal mein Fazit: Es geht nicht um entweder/oder, sondern um sowohl/als auch. Ich glaube, wenn wir es hinbekommen, dass beide Varianten möglich sind und wenn wir aus beiden die Vorteile nutzen und zusammenbringen, haben wir vielleicht wirklich etwas aus der Krise gelernt.
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* In dem Zusammenhang möchte ich gerne den Responsibility Process erwähnen, zu dem ich irgendwann auch noch einen Blogbeitrag schreiben will, weil ich ihn einfach megacool und wichtig finde. Außerdem könnt ihr nachlesen, was ich zu Beginn des 1. Lockdowns schon mal zum Thema Krise und Umgang damit geschrieben habe.
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